Jetzt bietet sich eine entscheidende Gelegenheit, weltweit gemeinsam zu handeln, um globale Lebensmittelsysteme zu verändern und dem Klimawandel entgegenzuwirken: Nächste Woche beginnt die UN-Klimakonferenz und bereits heute finden Konferenzen zu Nahrungsmittelsicherheit der Europäischen Kommission und der FAO/IFPRI in Bangkok statt. In einem gemeinsamen Aufruf forderten 130 Nationale Akademien der Wissenschaften und Medizin heute die Politik zum sofortigen Handeln gegen den Klimawandel auf. Dadurch soll auch die Nachhaltigkeit globaler Lebensmittelsysteme verbessert werden. In ihrem umfassenden neuen Bericht mit dem Titel Opportunities for future research and innovation on food and nutrition security and agriculture: The InterAcademy Partnership's global perspective" (Möglichkeiten für zukünftige Forschung und Innovation zur Lebensmittel- und Ernährungssicherheit und Landwirtschaft: Die globale Perspektive der InterAcademy Partnership), rufen die Autoren dazu auf, nicht einfach weiterzumachen wie bisher. Vielmehr fordern sie von den Regierungen, mit Hilfe der Wissenschaft Innovation voranzutreiben und Entscheidungsträger zu informieren.
Unsere Lebensmittelsysteme werden unserem Bedarf nicht gerecht. Auf der UN-Klimakonferenz in Katowice müssen die Regierungen nächste Woche mehr tun, als nur politische Stellungnahmen abzugeben: Sie müssen handeln, um dem Klimawandel entgegenzuwirken. Nicht nur der Erhalt der Umwelt steht auf dem Spiel, sondern auch die Gesundheit und Ernährung der Menschen, Handel, Arbeitsstellen und die Wirtschaft. Landwirtschaft und Verbraucherverhalten haben einen großen Einfluss auf den verheerenden Klimawandel. Wir müssen die Auswirkungen der Landwirtschaft und des Verbraucherverhaltens auf das Klima mit soliden und ehrgeizigen politischen Maßnahmen beeinflussen - und der Wissenschaft kommt dabei eine wichtige Rolle zu. Unser neuer Bericht ist ein Weckruf für alle Regierenden", so Prof. Joachim von Braun, Co-Vorsitzender des Projektes für Lebensmittel- und Ernährungssicherheit und Landwirtschaft der InterAcademy Partnership (IAP), Präsident der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften und Direktor am Zentrum für Entwicklungsforschung (ZEF) der Universität Bonn.
Das Jahr 2018 hat deutlich gezeigt, wie stark Lebensmittelsysteme unter den extremen Wetterverhältnissen und anderen Folgen des vom Menschen verursachten Klimawandels leiden. Dazu kommt, dass alleine die Landwirtschaft, die Forstwirtschaft und Veränderungen der Bodennutzung (ohne Lebensmitteltransport und andere energieaufwändige Verfahren) mit etwa 20 bis 25?% zu den weltweiten jährlichen Emissionen beitragen. Der jüngste Sonderbericht des Weltklimarats (Intergovernmental Panel on Climate Change, IPCC) zeigte deutlich, dass ein weltweiter Temperaturanstieg um 2?C unter allen Umständen verhindert werden muss. Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) berichtete 2018 von einem weiteren Anstieg der Anzahl unterernährter Menschen zwischen 2016 und 2017 in absoluten Zahlen. Auch andere Ernährungsziele seien verfehlt worden. Extreme Klimaereignisse und -schwankungen drohen, frühere Erfolge zunichte zu machen und die Situation noch zu verschlimmern. Die Tendenz zur Produktion von sehr kalorienreichen Nahrungsmitteln führt zu gesundheitlichen Problemen wie Übergewicht. Der Klimawandel verschlimmert die Lebensmittel- und Ernährungsunsicherheit und Ungleichheit.
Wir können nicht weitermachen wie bisher. Unsere derzeitigen Lebensmittelsysteme bedingen nicht nur den Klimawandel, sondern wirken sich auch negativ auf die Gesundheit der Menschen auf der ganzen Welt aus. Eine kalorienreiche Ernährung ist billiger geworden. Das hat schwerwiegende Folgen für die Volksgesundheit und den Ernährungszustand der Menschen. Für die Erreichung der Ziele für nachhaltige Entwicklung, insbesondere Gesundheit und das Beenden des Hungers, spielt die Wissenschaft eine wesentliche Rolle", so Professor Volker ter Meulen, M.D., Co-Vorsitzender des Projektes für Lebensmittel- und Ernährungssicherheit und Landwirtschaft der IAP und Präsident der IAP.
Wir müssen unbedingt evidenzbasierte Politik und Programme stärken und in die Lösung der größten Herausforderungen unserer Zeit investieren: die Bekämpfung des Klimawandels durch eine Veränderung der Produktion und des Verbrauchs von Lebensmitteln und die Sicherstellung des weltweiten Zugangs zu nahrhaften, bezahlbaren und nachhaltigen Lebensmitteln. Diese Themen sind nicht nur für Gesundheit und Umwelt sondern auch für die Weltwirtschaft, den Handel und Arbeitsstellen von entscheidender Bedeutung. Klimasmarte Landwirtschaft (climate-smart agriculture, CSA), Anreize für Verbraucher, ihre Ernährung umzustellen, innovative Lebensmittel und Spitzentechnologien in Verbindung mit konsequenten sozialwissenschaftlichen Maßnahmen sind unerlässlich, um die Ursachen unseres versagenden globalen Lebensmittelsystems zu bekämpfen.
Was müssen wir ändern?
Klimasmarte Lebensmittelsysteme Die IAP fordert eine Umstellung auf klimasmarte Lebensmittelsysteme. Allerdings wird eine Begrenzung der Treibhausgasemissionen in der Landwirtschaft nicht ausreichen, um den Auswirkungen der Lebensmittelsysteme auf den Klimawandel entgegenzuwirken.
Anreize für eine Änderung der Ernährungsgewohnheiten Für die öffentliche Gesundheit (einschließlich der Bekämpfung von Übergewicht und der Ernährung) sowie für die Umwelt muss es (evidenzbasiert) Anreize für Menschen geben, ihre Ernährung zu verbessern. Politiker müssen verstehen, was die Nachfrage anregt und Wege finden, das Verbraucherverhalten zu ändern. Dazu gehört auch die Förderung der Akzeptanz für innovative Lebensmittel und Ernährungsgewohnheiten. Politiker müssen Verbraucher außerdem in die Lage versetzen, die Auswirkungen ihrer Kaufentscheidungen auf die Umwelt zu verstehen und abzuwägen. Eine weitere Priorität sollte die Bekämpfung von Lebensmittelverschwendung sein, denn davon können Klima und Umwelt klar profitieren.
Innovative Lebensmittel Politiker und andere Entscheidungsträger müssen ehrgeizige Maßnahmen ergreifen, um Verbraucherverhalten, das Treibhausgasemissionen verursacht, zu beeinflussen. Ein veränderter Nahrungsmittelkonsum könnte positive Nebeneffekte für Gesundheit und Klima mit sich bringen. Dazu gehören unter anderem ein verminderter Fleischkonsum in manchen Regionen, wie etwa Europa, oder das verstärkte Zurückgreifen auf innovative Lebensmittel und Ernährungsweisen. Beispiele für innovative Lebensmittel sind Mischungen aus Fleisch und Pilzen, kultiviertes Fleisch, Algen und ansprechende Lebensmittel aus Insekten.
Zusammenarbeit zwischen Naturwissenschaft und Sozialwissenschaft Forschung muss in angewandte Innovation umgesetzt werden; dazu brauchen wir mehr interdisziplinäres Arbeiten sowie Spitzentechnologien, naturwissenschaftliche Bildung, Ausbildung und Reichweite. In den Bereichen Lebensmittel, Ernährung und Landwirtschaft müssen die Lebenswissenschaften und die Grundlagenforschung viel enger mit den Sozialwissenschaften und der Politikforschung zusammenarbeiten.
Neuer internationaler wissenschaftlicher Beratungsmechanismus Die IAP empfiehlt die Einrichtung eines internationalen Beratungsgremiums für Lebensmittel- und Ernährungssicherheit und Landwirtschaft unter Beteiligung der Akademien zur Stärkung internationaler Steuerungsmechanismen.
Ausmaß der Herausforderung Nach neuesten Einschätzungen der UN (FAO et al., 2017) stieg die Zahl der chronisch unterernährten Menschen von 777?Mio. im Jahr 2015 auf 815?Mio. im Jahr 2016. Die Anzahl der Menschen, die an Mikronährstoffmangel und an Krankheiten im Zusammenhang mit Übergewicht oder Fettleibigkeit leiden, ist noch weitaus höher. In einigen Regionen hat sich die Nahrungsmittelsicherheit verschlechtert. Dazu gehören vor allem Konfliktgebiete, in denen noch Dürren und Überschwemmungen dazu kommen, insbesondere in Teilen Afrikas, Südostasiens und Westasiens. Konflikte und Klimawandel als zunehmende Ursachen für Nahrungsmittelunsicherheit unterstreichen die Notwendigkeit, verstärkt Sozialwissenschaften, Gesundheits- und Klimawissenschaften in die globale Forschungsagenda für Lebensmittel, Ernährung und Landwirtschaft aufzunehmen, um die Probleme und mögliche Lösungswege zu verstehen. Die landwirtschaftliche Produktion kann nicht unendlich erhöht werden: Es besteht eine entscheidende Verpflichtung, den weiteren Raubbau an den Ökosystemen und die Abnahme der Artenvielfalt zu verhindern. Nach Angaben der Weltbank werden etwa 11?% der Landfläche der Erde für den Ackerbau genutzt, wobei insgesamt ein Großteil (über ein Drittel) als landwirtschaftliche Nutzfläche (einschließlich Weide- und Waldflächen) genutzt wird.
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Anmerkungen für den Redakteur
Für dieses dreijährige Projekt wurden vier parallele regionale Netzwerkarbeitsgruppen der Akademie gebildet: in Afrika (Network of African Science Academies, NASAC), Asien (Association of Academies and Societies of Sciences in Asia, AASSA), Amerika (Inter-American Network of Academies of Science, IANAS) und Europa (European Academies' Science Advisory Council, EASAC). Die Experten für Lebensmittel- und Ernährungssicherheit und Landwirtschaft der Akademien aus den vier Weltregionen einigten sich auf zehn vorrangige Leitfragen, deren jeweilige Antworten aus jeder Region die Grundlage für die Analyse der Akademien bildeten. Die vier regionalen Arbeitsgruppen entwickelten ihren Vorschlag, der dann einer von der Akademie nominierten unabhängigen Peer-Review unterzogen und von jedem regionalen Akademienetzwerk bestätigt wurde. Die Rückmeldungen zu den vier regionalen Berichten wurden als Grundlage für die Erstellung dieses fünften, globalen Berichts unter Leitung einer fachkundigen Redaktionsgruppe genutzt. Der globale Bericht wurde von unabhängigen Experten geprüft und von der IAP bestätigt. Dieses Projekt wurde vom BMBF (Bundesministerium für Bildung und Forschung) finanziert.
Zitate zum Bericht
Die Päpstliche Akademie der Wissenschaften: Abschlusserklärung zum Workshop über Lebensmittelsicherheit und gesunde Ernährung sagt: Die wissenschaftliche Grundlage für Nahrungsmittelsicherheit und eine gesunde Ernährung muss gestärkt werden. Die jüngsten Studien der InterAcademy Partnership über künftige Forschungsprioritäten in den Bereichen Landwirtschaft, Nahrungsmittelsicherheit und Ernährung in Afrika, Asien, Amerika und Europa haben einen Fokus auf Nahrungsmittelsicherheit gesetzt und bilden damit eine Grundlage."
Relevante Links
Regionale Berichte der IAP über Lebensmittel- und Nahrungssicherheit und Landwirtschaft (Afrika, Asien, Amerika und Europa)
COP Klimawandel und Land: ein Sonderbericht des IPCC
Regionale Berichte der IAP: Afrika, Amerika, Asien und Europa
FAO/IFPRI: ein schnelleres Ende von Hunger und Unterernährung
EAT/Lancet-Bericht
Wissenszentrum der Europäischen Kommission für globale Lebensmittel- und Ernährungssicherheit
Über die InterAcademy Partnership (IAP)
Die InterAcademy Partnership (IAP) ist das globale Netzwerk von über 130 Nationalen Akademien der Wissenschaft, Medizin und Ingenieurwissenschaft. Sie wurde im März 2016 offiziell gegründet und baut auf drei bereits bestehenden globalen Netzwerken von Akademien auf. In der IAP arbeiten die Akademien zusammen, um die besondere Rolle der Wissenschaft und ihre Bemühungen um Lösungen für die schwierigsten Probleme der Welt zu unterstützen. Insbesondere nutzt die IAP das Fachwissen weltweit führender Wissenschaftler, Mediziner und Ingenieure, um eine solide Politik voranzutreiben, die öffentliche Gesundheit zu verbessern, Spitzenleistungen bei naturwissenschaftlicher Bildung zu fördern und andere kritische Entwicklungsziele zu erreichen.
Kontaktdaten
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E-Mail: robin.fears@easac.eu
Mobiltelefon: +44 12 79 504 270
Molly Hurley-Depret
E-Mail:?molly.hurley-depret@easac.eu
Mobiltelefon: +352 691 112 882
Festnetz: +352 26 68 91 21