Der Science-Fiction-Autor Arthur C. Clarke wählte 1997 in einer BBC-Fernsehserie seine eigenen sieben Weltwunder aus. Als einziges astronomisches Objekt nannte er SS 433. Ende der 1970er Jahre war es Astronom:innen durch seine Röntgenstrahlung aufgefallen, wenig später fand man heraus, dass es sich im Zentrum eines Gasnebels befindet, der aufgrund seiner einzigartigen Form, die an aquatische Säugetiere erinnert, als Seekuhnebel bezeichnet wird.
SS 433 ist ein Doppelsternsystem, in dem ein Schwarzes Loch mit etwa der zehnfachen Masse der Sonne, und ein Stern ähnlicher Masse, aber deutlich größerem Volumen, einander mit einer Periode von 13 Tagen umkreisen. Dabei strömt aufgrund des intensiven Gravitationsfeldes Material von der Oberfläche des Sterns in Richtung des schwarzen Lochs, wo es sich zunächst in einer heißen Gasscheibe ansammelt, bevor es schließlich in das Schwarze Loch hineinfällt. Dabei werden zwei gebündelte Strahlen geladener Teilchen (oder Plasma) senkrecht zur Ebene der Scheibe mit einem Viertel der Lichtgeschwindigkeit ausgestoßen (siehe Abbildung 1).
Diese Jets von SS433 können im Radio- und Röntgenwellenlängenbereich bis zu einer Entfernung von knapp einem Lichtjahr auf beiden Seiten des zentralen Doppelsterns nachgewiesen werden, dann werden sie zu schwach um noch gesehen zu werden. Doch überraschenderweise tauchen die Jets in etwa 75 Lichtjahren Entfernung von ihrem Startpunkt plötzlich wieder als helle Röntgenquellen auf. Die Gründe für dieses Wiederauftauchen sind seit langem unklar.
Ähnliche relativistische Jets werden auch in den Zentren aktiver Galaxien (zum Beispiel Quasare) beobachtet, allerdings sind diese Jets viel größer als die galaktischen Jets von SS 433. Aufgrund dieser Analogie werden Objekte wie SS 433 als Mikroquasare klassifiziert.
Bis vor kurzem wurde keinerlei Gammastrahlenemission von einem Mikroquasar nachgewiesen. Dies änderte sich jedoch 2018, als es dem High Altitude Water Cherenkov Gamma-ray Observatory (HAWC) zum ersten Mal gelang, sehr energiereiche Gammastrahlen aus den Jets von SS 433 nachzuweisen. Das bedeutet, dass irgendwo in den Jets Teilchen auf extrem hohe Energien beschleunigt werden. Trotz jahrzehntelanger Forschung ist aber immer noch unklar, wie oder wo die Teilchen in den astrophysikalischen Teilchenstrahlen beschleunigt werden.
Die Untersuchung der Gammastrahlenemission von Mikroquasaren bietet einen entscheidenden Vorteil: Während die Jets von SS 433 zwar 50 Mal kleiner sind als die der nächstgelegenen aktiven Galaxie (Centaurus A), befindet sich SS 433 aber im Inneren der Milchstraße, tausend Mal näher an der Erde als Centaurus A. Folglich ist die scheinbare Größe der Jets von SS 433 am Himmel viel größer und ihre Eigenschaften lassen sich mit der aktuellen Generation von Gammateleskopen besser untersuchen.
Ausgelöst durch die HAWC-Entdeckung initiierte das H.E.S.S.-Observatorium eine Beobachtungskampagne des SS 433-Systems. Das Ergebnis dieser Kampagne waren rund 200 Stunden Daten und der eindeutige Nachweis von Gammastrahlenemission aus den Jets von SS 433. Dank der überlegenen räumlichen Auflösung der H.E.S.S.-Teleskope im Vergleich zu früheren Messungen konnten die Forschenden erstmals den Ursprung der Gammastrahlenemission innerhalb der Jets genau bestimmen, was zu verblüffenden Ergebnissen führte:
Während in der zentralen Region des Doppelsternsystems keine Gammastrahlenemission nachgewiesen werden kann, tritt die Emission in den äußeren Jets in einem Abstand von etwa 75 Lichtjahren beiderseits des Doppelsterns plötzlich auf. Dies ist eine Bestätigung früherer Röntgenbeobachtungen.
Was die Wissenschaftler:innen dabei jedoch überraschte, war eine Verschiebung der Position der Gammastrahlenemission, je nachdem in welchem Energiebereich man das System betrachtete.
Die Gammaphotonen mit den höchsten Energien von mehr als 10 Teraelektronenvolt werden nur an der Stelle nachgewiesen, an der die Jets abrupt wieder auftauchen (siehe Abb. 2c). Die Regionen, die Gammastrahlen mit niedrigeren Energien aussenden, erscheinen dagegen an Positionen weiter außerhalb entlang der Jets (siehe Abbildung 2).
„Dies ist die allererste Beobachtung der Energieabhängigkeit der Gammastrahlenemission eines astrophysikalischen Jets“, bemerkt Laura Olivera-Nieto vom Max-Planck-Institut für Kernphysik (MPIK) in Heidelberg, die die H.E.S.S.-Untersuchung von SS 433 im Rahmen ihrer Doktorarbeit leitete. „Wir waren zunächst über diese Ergebnisse verwundert. Die Konzentration von so hochenergetischen Photonen an den Stellen, an denen die Röntgenjets wieder auftauchen, bedeutet, dass dort eine effiziente Teilchenbeschleunigung stattfinden muss, was zuvor nicht erwartet wurde“.
Die Forschenden haben zudem die beobachtete Energieabhängigkeit der Gammastrahlenemission im Computer simuliert und konnten so erstmals die Geschwindigkeit der äußeren Jets abschätzen. Der Unterschied zwischen dieser Geschwindigkeit und derjenigen, mit der die Jets gestartet werden, deutet darauf hin, dass der Mechanismus, der die Teilchen weiter nach außen beschleunigt hat, ein starker Schock ist – eine sehr abrupte Änderung der Eigenschaften des Mediums. Das Vorhandensein eines Schocks würde dann auch eine natürliche Erklärung für das Wiederauftauchen der Jets im Röntgenlicht liefern, da beschleunigte Elektronen ebenfalls Röntgenstrahlung erzeugen.
"Wenn diese schnellen Teilchen mit einem Lichtteilchen (Photon) kollidieren, geben sie einen Teil ihrer Energie ab - so entstehen die bei H.E.S.S. beobachteten hochenergetischen Gammaphotonen. Dieser Vorgang wird als inverser Compton-Effekt bezeichnet", erklärt Brian Reville, Gruppenleiter der Arbeitsgruppe Astrophysikalische Plasmatheorie am MPIK.
"Es gab viele Spekulationen über das Auftreten von Teilchenbeschleunigung in diesem einzigartigen System – diese Rätsel ist nun gelöst: Das Ergebnis unserer Forschungen erlaubt uns, den Ort der Beschleunigung und die Art der beschleunigten Teilchen genau zu bestimmen und die Bewegung der Jets zu untersuchen, die von einem Schwarzen Loch erzeugt werden", betont Jim Hinton, Direktor am MPIK und Leiter der Abteilung Nichtthermische Astrophysik.
"Noch vor wenigen Jahren war es undenkbar, dass bodengestützte Gammastrahlenmessungen Aufschluss über die innere Dynamik eines solchen Systems geben könnten", ergänzt Mitautorin Michelle Tsirou, Postdoktorandin bei DESY Zeuthen.
Allerdings ist nichts über den Ursprung der Schocks an den Stellen bekannt, an denen der Jet wieder auftaucht. "Wir haben immer noch kein Modell, das alle Eigenschaften des Jets einheitlich erklären kann, da noch kein Modell diese Eigenschaft vorausgesagt hat", erklärt Olivera-Nieto. Dieser Aufgabe will sie sich als nächstes widmen - ein lohnendes Ziel, denn die relative Nähe von SS 433 zur Erde bietet eine einmalige Gelegenheit, das Auftreten von Teilchenbeschleunigung in relativistischen Jets zu untersuchen. Die Wissenschaftler:innen vermuten, dass sich diese Ergebnisse auf die tausendfach größeren Jets aktiver Galaxien und Quasare übertragen lassen, was helfen würde, die vielen Rätsel um den Ursprung der energiereichsten kosmischen Strahlung zu lösen.
Das H.E.S.S.-Observatorium
Hochenergetische Gammastrahlung lässt sich vom Erdboden aus nur mit einem Trick beobachten. Dringt ein Gammastrahl in die Atmosphäre ein, stößt er mit Atomen und Molekülen zusammen und erzeugt neue Teilchen, die lawinenartig in Richtung Erdboden weiterrasen. Diese Teilchen senden Blitze aus, die nur wenige Milliardstel Sekunden dauern (Tscherenkow-Strahlung) und mit speziell ausgerüsteten Großteleskopen am Boden beobachtet werden können. Die Hochenergie-Gammaastronomie nutzt also die Atmosphäre wie eine riesige Leuchtstoffröhre. Das H.E.S.S.-Observatorium, das sich im Khomas-Hochland von Namibia in einer Höhe von 1835 m befindet, wurde 2002 offiziell in Betrieb genommen (Abbildung 3). Es besteht aus einer Anordnung von fünf Teleskopen. Vier Teleskope mit Spiegeldurchmessern von 12 m befinden sich an den Ecken eines Quadrats, ein weiteres 28-m-Teleskop steht in der Mitte. Damit lässt sich kosmische Gammastrahlung im Bereich von einigen zehn Gigaelektronenvolt (GeV, 109 Elektronenvolt) bis zu einigen zehn Teraelektronenvolt (TeV, 1012 Elektronenvolt) nachzuweisen. Zum Vergleich: Sichtbares Licht besitzt Energien von zwei bis drei Elektronvolt. H.E.S.S. ist derzeit das einzige Instrument, das den Südhimmel im hochenergetischen Gamma-Licht beobachtet, und es ist auch das größte und empfindlichste Teleskopsystem seiner Art.
Journal
Science
Method of Research
Observational study
Subject of Research
Not applicable
Article Title
Acceleration and transport of relativistic electrons in the jets of the microquasar SS 433
Article Publication Date
25-Jan-2024