„In die Forschung zu lebensbedrohlichen Pilzinfektionen wird zu wenig Geld investiert“
Leibniz Institute for Natural Product Research and Infection Biology - Hans Knöll Institute -
Die WHO hat Ende 2022 zum ersten Mal eine Liste der wichtigsten Pilzpathogene veröffentlicht und damit die hohe Bedeutung der Forschung und Entwicklung zum Thema Pilzinfektionen hervorgehoben. Im Interview erläutert Axel Brakhage, Direktor des Leibniz-Instituts für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie (Leibniz-HKI) in Jena, seine Einschätzung der WHO-Liste und ordnet die Bedeutung für das Institut ein.
Herr Brakhage, wie haben Sie die Veröffentlichung der „Fungal Priority Pathogens“ (deutsch: vorrangige Pilzerreger) -Liste der WHO aufgenommen? War das überfällig?
Das war lange überfällig. Und die Liste bestätigt, dass wir an unserem Institut den richtigen Kurs eingeschlagen haben. Wir haben 2006 angefangen, das Institut zu einem Zentrum für die Erforschung dieser wichtigen Krankheitserreger und der menschlichen Immunreaktion dagegen auszubauen. Die Liste betont die Bedeutung des Themas, die von verschiedenen Gruppen bisher nicht wirklich erkannt wurde, auch in den Kliniken. Das wurde jüngst auch noch mal in einem Kommentar in Nature Reviews Microbiology aufgegriffen: Jedes Jahr sind mehr als 300 Millionen Menschen von schweren Pilzinfektionen betroffen und mehr als 1,5 Millionen sterben an diesen Krankheiten. Wobei die eigentliche Zahl vermutlich höher liegt. Aber weil Gesundheitssysteme, Entscheidungsträger und Geldgeber das Problem unterschätzen und die diagnostischen Möglichkeiten begrenzt sind, ist es unmöglich, die globale Belastung durch Pilzinfektionen genau zu schätzen.
Sind Sie mit der Einstufung durch die WHO einverstanden und was bedeutet sie für die Arbeit am Institut?
Die Einstufung basiert auf verschiedenen Kriterien. Da spielt die Epidemiologie eine Rolle, aber auch, wie schwerwiegend die Erkrankungen sind. Ich persönlich finde die Einstufung sehr gut, da sie viele Faktoren integriert. Und von den als besonders kritisch bezeichneten Pilzen bearbeiten wir im Institut drei von vier: Aspergillus fumigatus, Candida albicans und Candida auris. Das heißt, das sind Schwerpunkte unserer Arbeit.
Die Liste motiviert uns daher extrem, die Grundlagenforschung in neue diagnostische Verfahren und auch in die Entwicklung von therapeutischen Möglichkeiten zu überführen. Aufgrund der erhöhten Aufmerksamkeit rechnen wir außerdem damit, dass wir mehr Einsendungen von Probenmaterial bekommen. Wir haben am Institut das Nationale Referenzzentrum für invasive Pilzinfektionen, das sich darum kümmert, bei unklaren Fällen in Kliniken deutschlandweit die richtige Diagnose zu finden und vor allen Dingen auch die richtigen Therapievorschläge vornehmen zu können.
Was macht denn Pilzinfektionen so gefährlich?
Da spielen verschiedene Faktoren eine Rolle. Zum einen treten sie oft bei Patienten auf, die ein geschwächtes Immunsystem haben, die also besonders empfänglich dafür sind – zum Beispiel Krebspatienten. Zum anderen bleiben viele Infektionen unentdeckt, und das führt häufig zum Tod der Patienten. Diese Situation wird dadurch verschlimmert, dass wir im Prinzip nur drei Substanzgruppen haben, die man gegen Pilzinfektionen einsetzen kann: Das Antibiotikum Amphotericin B, welches allerdings erhebliche Nebenwirkungen aufweist; Echinocandine, eine Substanzklasse, die gegen die Zellwand wirkt; und Azolderivate, die die Biosynthese von pilzlichen Membranen inhibieren.
All diese Faktoren zusammengenommen führen leider viel häufiger zum Tod von Patienten als bei bakteriellen Infektionen. Bei einigen Patientengruppen verursachen schwere Pilzinfektionen eine Letalität zwischen 30 und 90 Prozent.
Woher kommt es, dass virale und bakterielle Infektionen sowie Antibiotikaresistenzen auch medial inzwischen ein großes Thema sind, während Pilzinfektionen bisher in der breiten Öffentlichkeit wenig Beachtung finden?
Ich denke, dass es natürlich damit zu tun hat, dass wir die Öffentlichkeit mehr informieren müssen. Aber das soll nicht heißen, dass Antibiotikaresistenzen kein wirklich sehr großes Problem sind. Diese Resistenzen treffen aber inzwischen auch auf Pilzinfektionen zu. Und das ist fatal, weil wir im Gegensatz zu Bakterien viel weniger Möglichkeiten haben, auf alternative Antibiotika auszuweichen. Wir beobachten auch schon multiresistente Pilze, wie zum Beispiel Candida auris. Durch den WHO Report wird deutlich, dass das nicht nur national eine Rolle spielt, sondern weltweit ein großes Problem darstellt. Es gab zuletzt zum Beispiel große Ausbrüche von zumeist tödlichen Mukormykosen in Indien. Das ist normalerweise eine seltene Erkrankung, ich schätze wir haben sonst circa 10.000 Patienten auf der Welt pro Jahr. In Indien waren es plötzlich mehrere Tausend als Folge von COVID19. Neben der COVID19-Erkrankung lag das vermutlich auch an unbehandeltem Diabetes bei vielen Patienten. Der erhöhte Zuckerspiegel macht Menschen empfänglicher für Pilzinfektionen.
Neben den bereits genannten, welche Pilze spielen für die Forschung im Institut eine besondere Rolle?
Wir erforschen auch Pilze, die als High Priority Pathogens eingestuft sind. Das sind unter anderem Pilze, die Mukormykosen verursachen – zum Beispiel die Gattungen Mucor und Lichtheimia – oder Fusarien. Letztere befallen Pflanzen, können aber auch Infektionen beim Menschen auslösen. Aber es gibt natürlich nicht nur krankheitserregende Pilze, das sind wahrscheinlich nur maximal 150 Arten. Die nach Analysen bis zu 5 Millionen Pilze, die es sonst noch gibt, sind hochinteressante Organismen. Und an denen arbeiten wir auch, um neue Wirkstoffe zu entdecken – zum Beispiel Antibiotika, aber auch Substanzen, die gegen Pilze wirken, sogenannte Antimykotika.
Können Sie ein paar Meilensteine der Forschung am Leibniz-HKI nennen?
Die Gruppen am Institut haben sich sehr darum verdient gemacht, neue sogenannte Virulenzdeterminanten zu identifizieren – das heißt die Frage zu klären, warum sind gerade diese wenigen Pilze pathogen und wie können sie das Immunsystem überlisten? Wir haben interessante Moleküle entdeckt: Zum Beispiel ein bestimmtes Melanin auf der Oberfläche von Aspergillus fumigatus, das nur bei ganz wenigen Pilzen vorkommt und das dem Pilz hilft, sich vor dem Immunsystem zu verstecken. Und wir haben ein neues Peptidtoxin entdeckt, das Candidalysin, das erste Toxin überhaupt in einem eukaryotischen Mikroorganismus. Es hilft Candida albicans, pathogen zu werden. Außerdem haben wir erforscht, wie das menschliche Immunsystem Pilze bekämpft. Wir haben zum Beispiel entdeckt, dass kleine extrazelluläre Vesikel, die von Immunzellen gebildet werden, in der Lage sind, Pilze abzutöten. Das sind auch vielversprechende Pforten, um neue Therapien zu entwickeln.
Wo steht die Erforschung von Pilzinfektionen in Jena im weltweiten Vergleich?
Wir hatten hier in Jena seit den 2000er Jahren die Chance, ein Zentrum für die Untersuchung dieser wichtigen Krankheitserreger zu etablieren. Und wir kooperieren natürlich mit den anderen Zentren auf der Welt, das sind aber nicht sehr viele. Da würde ich das Leibniz-HKI schon zu den größten auf der Welt zählen.
Was braucht es zusammenfassend, um besser gegen Pilzinfektionen gewappnet zu sein?
Was wir brauchen, basierend auf der sehr guten Analyse der WHO, ist eine viel größere finanzielle Unterstützung, auch durch die öffentliche Hand. In die Forschung zu lebensbedrohlichen Pilzinfektionen wird zu wenig Geld investiert, sehr viel weniger als in Virus- oder Bakterieninfektionen. Ich hoffe, dass durch diesen WHO-Report auch den Entscheidungsträgern klar wird, dass wir Forschung und Entwicklung wesentlich ausbauen müssen, um dieses drängende Problem zu lösen. So benötigen wir deutlich mehr Ausbildung in den Naturwissenschaften ebenso wie beim klinisch tätigen Personal. Wir brauchen mehr Forschende, die sich dieser sehr komplexen Thematik widmen. Sie müssen eine deutlich bessere und schnellere Diagnostik entwickeln, das ist entscheidend. Jede Stunde zählt. Und wir brauchen bessere therapeutische Möglichkeiten.
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