Feature Story | 17-Feb-2025

Mit Polymeren und natürlichen Temperaturschwankungen zu sauberem Trinkwasser

Forschende haben ein vielversprechendes Verfahren entwickelt, mit dem Frischwasser ohne Einsatz konventioneller Entsalzungsanlagen aus dem Meer gewonnen werden kann

Johannes Gutenberg Universitaet Mainz

Frischwasser ohne Einsatz konventioneller Entsalzungsanlagen aus dem Meer gewinnen? Für diese wichtige Anwendung hat die Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Sebastian Seiffert am Department Chemie der JGU eine vielversprechende Lösung entwickelt. HydroDeSal nutzt dazu ein auf Temperaturunterschiede reagierendes Hydrogel: Es entzieht dem Meer in der kühlen Nacht sauberes Wasser und gibt es am warmen Tag wieder ab. Jetzt soll die Anwendung in den Markt überführt werden.

Vielen Menschen auf der Welt fehlt der verlässliche Zugang zu sauberem Trinkwasser. Dabei ist unser Planet eigentlich reich an Wasser. Das meiste davon – rund 96 Prozent – befindet sich allerdings in Meeren und Ozeanen. Wegen des hohen Salzgehalts kann es nicht direkt als Frischwasser genutzt werden. Hier setzt HydroDeSal an, eine Entwicklung der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Sebastian Seiffert am Department Chemie der JGU in enger Kooperation mit Partnern aus dem Mittleren Osten. "Wir nutzen ein thermoresponsives Hydrogel, um ausschließlich mit dem natürlichen Temperaturunterschied zwischen Nacht und Tag Trinkwasser aus dem Meer zu gewinnen", erklärt der Mainzer Chemiker. Dass der Prozess zuverlässig funktioniert, ist im Labormaßstab bewiesen. Jetzt ist das Team auf der Suche nach Partnern aus der Industrie, um das Prinzip in die Serienproduktion zu überführen. "Für die Ausentwicklung zur Marktreife und die Überführung in ein Produkt braucht es solche Kooperationen mit der Wirtschaft", so Seiffert.

Aber wie genau funktioniert HydroDeSal eigentlich? Dr. Amir Jangizehi, Mitarbeiter von Prof. Seiffert, erläutert den Prozess anhand des Versuchsaufbaus im Labor. Im Mittelpunkt stehen die Hydrogele aus Polymeren. Solche Substanzen begegnen uns häufig im täglichen Leben. Beispielsweise bilden sie die Superabsorber in Babywindeln, die große Mengen an Feuchtigkeit aufnehmen können. Für HydroDeSal nutzen die Forscher aber eine besondere Stoffklasse: sogenannte thermoresponsive Polymere. Diese haben nicht nur eine bestimmte Funktion, sondern sie können ihre physikalischen Eigenschaften und damit ihr Verhalten abhängig von der Umgebungstemperatur verändern. Für die Entsalzung kommt ein Polymer zum Einsatz, dessen Partikel in den kühleren Nachtstunden Wasser aufnimmt und dabei Salz abstößt. Wird es tagsüber deutlich wärmer, zieht sich das aufgequollene Hydrogel wieder zusammen und gibt dabei salzfreies Wasser ab. Diesen Kreislauf nutzt das HydroDeSal, um Frischwasser zur Verfügung zu stellen. In bestehenden Großanlagen werden heute vor allem die vergleichsweise energieintensiven Verfahren der Verdampfung und der Umkehrosmose verwendet.

"Unser Traum ist es, diesen Prozess in eine nachhaltige und komplett autarke Anlage zu überführen, die beispielsweise über Photovoltaik mit zusätztlich noch gering notwendiger elektrischer Energie versorgt wird", sagt Sebastian Seiffert. Von einer solchen Lösung würden vor allem Menschen in Küstennähe profitieren, die keinen Zugang zur Trinkwasserinfrastruktur mit konventionellen Entsalzungsanlagen haben. Je nach Größe ließen sich so auch kleine Siedlungen und Dörfer mit Trinkwasser versorgen. Die Anwendung sieht der Chemieprofessor als einen Beitrag gegen die weltweit zunehmende Knappheit von Frischwasser: "Eine lokale Lösung für eine globale Herausforderung."

Gefördert wurde HydroDeSal seit 2021 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung in dessen Maßnahme MEWAC – Middle East Regional Water Research Cooperation Program – gegen Wassermangel im Nahen und Mittleren Osten. Die Region ist besonders stark vom sogenannten Wasserstress betroffen, erheblich verstärkt durch den globalen Klimawandel. Die gute Zusammenarbeit mit Partnern aus der Region passt perfekt zu dieser regionalen Fokussierung, sagt der Chemiker. "Die Forschenden dort haben maßgeblich die Membrantechnologie für unser Projekt entwickelt. Weil der Standort nur wenige Gehminuten vom Meer entfernt ist, konnten wir dort aber auch optimal unter realen Bedingungen testen." Den Kontakt zu den Projektteilnehmern aus dem Mittleren Osten stellte Amir Jangizehi her. Zum multinationalen Projektteam gehörten unter anderem Polymerwissenschaftler, Chemieingenieure und Experten für Membrantechnologie.

Sebastian Seiffert sieht HydroDeSal in einem größeren Kontext, nämlich vor dem Hintergrund des Klimawandels. Mit dem Thema beschäftigt er sich seit 2019 sehr intensiv. Damals beteiligte sich der Professor an den "Lectures for Future" und beleuchtete den Klimawandel aus physikochemischer Perspektive. "Die Recherche war ein Schockmoment, spätestens damals ist der Klimagroschen endgültig bei mir gefallen", sagt Seiffert im Rückblick. Seine Forderung an die Naturwissenschaften: Sich einbringen mit Forschung und Lösungsansätzen. "Albert Einstein sagte einst: 'Wer das Privileg hat zu wissen, hat die Pflicht zu handeln'“, merkt er an. HydroDeSal nennt Seiffert daher auch "ein echtes Herzensprojekt". Tatsächlich zeigt es, wie man den Appell an die Wissenschaft in eine serientaugliche Anwendung überführen kann.

 

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