Die Europäische Union hat eine Fördersumme von insgesamt 11,3 Millionen Euro über einen Zeitraum von sechs Jahren an das Forschungsprojekt HEAVYMETAL vergeben, das sich das Ziel gesetzt hat, die Entstehung chemischer Elemente in Neutronensternverschmelzungen zu untersuchen. Privatdozent Dr. Andreas Bauswein, Forscher in der Abteilung Theorie des GSI Helmholtzzentrums für Schwerionenforschung in Darmstadt, ist Teil des vierköpfigen internationalen Teams, das die Förderung im Rahmen eines sogenannten ERC Synergy Grants erhält. Bei GSI befindet sich derzeit das internationale Beschleunigerzentrum FAIR (Facility for Antiproton and Ion Research) im Bau. An FAIR werden in Zukunft Materiezustände, wie sie im Inneren von Sternen, Sternexplosionen und Neutronensternverschmelzungen vorkommen, im Labor untersucht.
Neutronensterne sind Überbleibsel, die während eines Sternkollapses bei einer Supernova-Explosion entstehen. Sie verfügen über äußerst starke Gravitationsfelder, außergewöhnliche intensive Magnetfelder und bestehen aus Materie extrem hoher Dichte, was sie zu wichtigen natürlichen Laboratorien für die Grundlagenphysik macht. In Doppelsternsystemen aus zwei Neutronensternen kann es zu Verschmelzungen dieser extremen Objekte kommen: Die beiden hochdichten Sterne kollidieren mit circa 20% der Lichtgeschwindigkeit, was zu Temperaturen von mehreren 100 Milliarden Kelvin führt. Bei der Kollision werden beträchtliche Mengen an neutronenreicher Materie herausgeschleudert, in der sich schwere chemische Elemente wie Silber, Gold, Platin und viele mehr bilden. Die ausgestoßene Materie entwickelt sich zu einem Feuerball, der als sogenannte Kilonova sichtbar ist.
„Die Kilonova-Forschung entwickelt sich zu einem neuen Bereich der Astrophysik und bietet ein enormes Entdeckungspotenzial für das Verständnis der Entstehung insbesondere schwerer Elemente, der Physik exotischer schwerer Kerne und der Zustände heißer, ultradichter und exotischer Materie“, erläutert Bauswein seinen Forschungsschwerpunkt. „Die zunehmende Empfindlichkeit von Gravitationswellendetektoren, die auch eine bessere Himmelslokalisierung für Folgebeobachtungen ermöglichen, und die nächste Generation von Teleskopen lassen in den kommenden Jahren eine Fülle neuer Kilonova-Beobachtungen erwarten. Ich freue mich darauf, gemeinsam mit meinen Kolleg*innen im Rahmen des ERC Synergy Grants das Forschungsgebiet bestmöglich ausloten zu können.“
Das Forschungsprojekt HEAVYMETAL (How Neutron Star Mergers make Heavy Elements, dt. Wie Neutronensternverschmelzungen schwere Elemente herstellen) will einen großen Schritt zur Erklärung von Kilonova-Explosionen machen, indem es die Emission spektroskopisch zerlegt und sie quantitativ mit den physikalischen Eigenschaften der Neutronensternverschmelzung in Verbindung bringt. Auf diese Weise soll HEAVYMETAL den Ursprung der schweren Elemente erforschen und die nuklearen und astrophysikalischen Wege beschreiben, auf denen sie entstanden sind – den so genannten „r-Prozess“ der Elementsynthese. Das Forschungsteam wird versuchen, die Details der beobachteten Spektren zu entschlüsseln und diese Informationen zu nutzen, um einen noch nie dagewesenen Einblick in die physikalischen Prozesse der Neutronensternverschmelzung zu gewinnen.
HEAVYMETAL bringt Expert*innen aus verschiedenen Bereichen rund um die Kilonova-Forschung zusammen, die durch ihre Zusammenarbeit Synergien bei dem ehrgeizigen Ziel ausnutzen können, die Elemententstehung zu erklären: Bauswein und seine Gruppe bei GSI/FAIR können auf eine lange Erfolgsgeschichte bei der Verbindung hydrodynamischer Simulationen mit der Nukleosynthese des r-Prozesses, der Modellierung von Kilonovae und den Eigenschaften von Materie hoher Dichte zurückblicken. Bereits im Jahr 2017 gelang es Bauswein, einen ERC Starting Grant über 1,5 Millionen Euro mit seinem Projekt GreatMoves zur Simulation von Neutronensternverschmelzungen einzuwerben. Neben Bauswein gehören des Weiteren Professor Darach Watson, Universität von Kopenhagen, Dänemark, sowie Professor Padraig Dunne, University College Dublin, Irland, und Dr. Stuart Sim, Queen's Universität, Belfast, UK, zu dem mit dem ERC Synergy Grant geförderten Forschungsteam.
Watson war maßgeblich an der Gewinnung und Interpretation von Kilonova-Daten beteiligt und arbeitet seit zwei Jahrzehnten im Bereich der beobachtenden Astronomie. Dunne ist ein führender Experimentalphysiker auf dem Gebiet der Laserplasma-Spektroskopie und experimentiert insbesondere mit Laserplasmen schwerer Elemente. Sim ist Experte für die theoretische Modellierung von Strahlung in explosiven Umgebungen und für die Entwicklung von Codes, mit denen detailliert die Wechselwirkung von Strahlung mit Materie und der Photonentransport in schnell expandieren Materieausflüssen simuliert werden können.
„Wir sind sehr stolz, dass wir für dieses hochkarätige Forschungsprojekt die Unterstützung der Europäischen Union gewinnen konnten,“ sagt Professor Paolo Giubellino, Wissenschaftlicher Geschäftsführer von GSI und FAIR. „In unserer Arbeit spielt die internationale und interdisziplinäre Zusammenarbeit von jeher eine große Rolle. Die Umsetzung vieler wissenschaftlicher Vorhaben ist ohne weltweite Kollaborationen und Nutzung von Synergien zwischen den Forschenden kaum vorstellbar. Dies fängt bei einzelnen Forschungsbereichen wie der Untersuchung der Kilonovae in diesem Zusammenschluss von Expert*innen an und setzt sich fort bei der Errichtung unserer zukünftigen Forschungsanlage FAIR, die in internationaler Zusammenarbeit von vielen Forschenden und Nationen entsteht.“ FAIR befindet sich zurzeit in Darmstadt im Bau und soll an die GSI-Beschleunigeranlage angeschlossen werden. An FAIR werden in Zukunft Materiezustände, wie sie im Inneren von Sternen, Sternexplosionen und Neutronensternverschmelzungen vorkommen, im Labor untersucht werden können, was eine direkte Verbindung zum HEAVYMETAL-Projekt bildet.
ERC Synergy Grants werden von der Europäischen Union an Forschungsgruppen von zwei bis maximal vier Wissenschaftler*innen in beliebigen Forschungsgebieten und ausschließlich auf der Basis wissenschaftlicher Exzellenz vergeben. Entscheidend für die Vergabe ist, dass die behandelte Forschung nicht von den einzelnen Forschenden alleine, sondern nur durch die gemeinsame Kooperation durchführbar ist.