Als der Anatom Georg Thilenius 1897 auf der Insel Maui mehrere Schädel und Skelette ausgrub, verstieß er gegen geltende hawaiianische Gesetze: Diese verboten die Entnahme menschlicher Überreste aus Begräbnisplätzen. Dennoch gelangten die iwi kūpuna – wie die Gebeine der Ahnen in Hawaii genannt werden – über das Hamburger Museum für Völkerkunde 1953 an die Universität Göttingen. Am Mittwoch, 9. Februar 2022, wurden 13 iwi kūpuna im Rahmen einer feierlichen Zeremonie nun wieder an ihre hawaiianischen Nachfahren zurückgegeben.
„Mit der Rückgabe drücken wir unsere tiefe Verbundenheit und unseren Respekt vor der hawaiianischen Kultur aus“, so der Präsident der Universität Göttingen, Prof. Dr. Metin Tolan. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des von der VolkswagenStiftung geförderten Forschungsprojekts „Sensible Provenienzen. Menschliche Überreste aus kolonialen Kontexten in den Sammlungen der Universität Göttingen“ haben die iwi kūpuna identifiziert. Im Fokus standen dabei die Blumenbachsche Schädelsammlung und die Anthropologische Sammlung.
„Durch unsere Untersuchungen konnten wir zumindest für einige Gebeine ermitteln, woher sie kamen und wie sie in die beiden Sammlungen gelangten“, erklärt Dr. Marie Luisa Allemeyer von der Zentralen Kustodie der Universität Göttingen. So überwies zum Beispiel Mitte des 19. Jahrhunderts ein Schiffsarzt vier iwi kūpuna an das Anatomisch-Chirurgische Institut in Braunschweig. Über den Gründungsdirektor des Naturhistorischen Museums gelangten sie schließlich in die Hände eines Göttinger Medizinstudenten, der sie 1934 dem Anatomischen Institut der Universität Göttingen übergab.
„Wir erkennen die Qualen unserer Vorfahren an und übernehmen die Verantwortung für ihr Wohlergehen (und damit auch für unser eigenes), indem wir sie zur Umbettung nach Hause überführen. Indem wir diese wichtige Arbeit tun, erkennen wir – Deutsche und Hawaiianer – auch unsere jeweilige Menschlichkeit an und feiern sie gemeinsam in aloha, in gegenseitiger Zuneigung, während wir ein neues Kapitel in unserer historischen Beziehung als Menschen schreiben.“ Ayau gehört gemeinsam mit Mana and Kalehua Caceres zur hawaiianischen Delegation, die das Office of Hawaiian Affairs (OHA) vertritt. Auf ihrer Reise, die sie neben Göttingen auch nach Bremen, Jena, Berlin und Wien führt, können sie 58 iwi kūpuna wieder in ihre Heimat zurückbringen.
„In den vergangenen zehn Jahren hat sich unter Museumsfachleuten und Anthropologen viel verändert. Das zeigt sich in einem besseren Verständnis für die indigenen Völker und die an uns begangenen Ungerechtigkeiten. Wir erkennen dies selbstverständlich an und begrüßen die Re-Humanisierung dieser Individuen und Institutionen“, so die OHA-Vorstandsvorsitzende Carmen „Hulu“ Lindsey. „Heute ermöglichen uns diese Aktionen wieder zu gesunden, nicht nur als Menschen, sondern als lāhui – als hawaiianische Nation.“
Weitere Informationen zum Forschungsprojekt „Sensible Provenienzen“ und die gestreamte Veranstaltung sind auf dem YouTube-Kanal der Universität Göttingen unter https://youtu.be/ghgZECfEicw zu finden.
Kontakt:
Dr. Marie Luisa Allemeyer
Georg-August-Universität Göttingen
Zentrale Kustodie, Weender Landstraße 2, 37073 Göttingen
Telefon (0551) 39-26690
E-Mail: allemeyer@kustodie.uni-goettingen.de
Internet: www.uni-goettingen.de/de/440706.html