Forschende der Kognitionswissenschaften unter der Leitung von Dr. Yoolim Kim (Korea-Institut der Harvard Universität und Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte) und Dr. Olivier Morin (Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte und Paris Sciences et Lettres-Universität) veröffentlichen aktuell eine kostenfreie Spiele-Anwendung mit dem Namen „Glyph“. Dabei treten Spieler beim Zuordnen von Buchstabenformen aus verschiedenen Schriftsystemen in selbst erstellten Kategorien gegeneinander an - wobei die originellsten und aussagekräftigsten Klassifizierungen Extrapunkte gewinnen.
Dr. Kim erklärt: „Die Wissenschaft ist gut darin, Dinge zu klassifizieren - Chemiker haben das Periodensystem, Biologen das System der Arten - es gibt sogar Regeln, um Pokémon zu sortieren! Aber für Buchstaben gibt es so etwas nicht - für manche Schriften schon, aber nicht für alle Buchstaben der Welt.“
Im Forschungsfeld der visuellen Psychologie, d.h. der Untersuchung, wie Dinge, die wir sehen, unser Denken beeinflussen, fehlt derzeit ein Vokabular zur Beschreibung von Buchstabenformen. Bisher wurden Buchstaben hauptsächlich aus der Sicht der Linguistik erforscht, und nur vereinzelte Studien haben ihre Formen und optischen Eigenschaften mit großen Datensätzen untersucht, die die Vielfalt der weltweiten Schriftarten widerspiegeln. Das Forschungsteam hofft, dass die „Glyph“-Anwendung zur Entstehung eines einheitlichen Standards führt, der die Untersuchungen der Schriftsysteme durch Linguisten und Kognitionswissenschaftler vereinen kann.
Die Hauptfrage, die anhand der gewonnenen Daten beantwortet werden soll, betrifft die Unterscheidbarkeit der Buchstaben: wie können Buchstaben in einem Skript sowohl unterschiedlich genug als auch einfach zu verarbeiten sein.
Eine visuelle Grammatik der Buchstabenformen
Für ihr Vorhaben, eine Typologie für Buchstabenformen mit möglichst reproduzierbaren und transparenten Klassifizierungsregeln zu erstellen, setzen die Forschenden auf Crowdsourcing. Das Forschungsteam strebt dabei an, eine Grammatik für Buchstabenformen zu erstellen, wie so schon ähnlich in Form des Internationalen Phonetischen Alphabets für Laute existiert.
„Eine Typologie für Buchstaben wird die Türen für die Erforschung von Schrift sowie Schriftsystemen öffnen“, sagt Kim. „Aber anstatt Spezialisten zu fragen, eine solche zu erstellen, bitten wir die Öffentlichkeit um Unterstützung.“
Die Anwendung präsentiert den Spielern zunächst eine Auswahl von Zeichen, aus einer der 45 in der Anwendung enthaltenen Schriftsprachen. Die Spieler tippen auf die Zeichen, um daraus eine Gruppe auf Grundlage ihrer optischen Gemeinsamkeiten zu bilden. Daraus leiten die Spieler anschließend die jeweiligen Regeln ab, die diese Ähnlichkeiten innerhalb der Gruppe beschreiben. Die Beiträge der Spieler werden schließlich mithilfe von maschinellem Lernen ausgewertet, um die zuverlässigsten und informativsten Regeln zu ermitteln.
Weitere Informationen finden Sie auf der „Glyph“-Webseite unter: https://glyph.shh.mpg.de/