Diese Pressemitteilung ist verfügbar auf Englisch.
Ob ein Duft für ein Lebewesen angenehm oder widerlich ist, ist nicht nur eine Frage des Geschmacks. Oftmals hängt das Überleben davon ab, denn Düfte können wichtige Hinweise auf Futterquellen oder geeignete Paarungspartner geben, sie können aber auch Signale für tödliche Gefahren sein. Wissenschaftler der BMBF-Forschungsgruppe Olfaktorische Kodierung am Max-Planck-Institut für chemische Ökologie fanden heraus, dass bei Fruchtfliegen die Qualität und Intensität von Gerüchen im sogenannten lateralen Horn abgebildet werden. Sie erstellten eine räumliche Aktivitätskarte dieses Teils des Geruchsverarbeitungssystems im Fliegenhirn und konnten zeigen, dass es im lateralen Horn drei unterschiedliche Aktivitätsbereiche gibt, die attraktiven oder abstoßenden Düften zugeordnet werden können, aber auch die Duftintensität abbilden. Die jeweiligen Zuordnungen haben unmittelbare Auswirkungen auf das Verhalten der Fliegen. Die Ergebnisse legen nahe, dass das laterale Horn eine ähnliche Funktion hat wie die Amygdala im Gehirn von Wirbeltieren, die ebenfalls eine entscheidende Rolle bei der Bewertung von Sinneseindrücken und Gefahren spielt. (eLife, Dezember 2014)
Um zu überleben, müssen Lebewesen in der Lage sein, Informationen aus ihrer Umgebung wahrzunehmen und ihr Verhalten entsprechend anzupassen. Tiere nutzen dabei ihre Sinne, wie das Sehen und das Riechen, um visuelle Eindrücke oder Gerüche aus ihrem Umfeld aufzunehmen und in ihrem Gehirn weiterzuverarbeiten und zu bewerten. Sie müssen gute von schlechten Düften unterscheiden können. Gute Düfte sind wichtige Signale bei der Suche nach Futter oder einem Partner zur Paarung. Insektenweibchen nutzen Duftinformationen darüber hinaus für die Auswahl eines Eiablageplatzes. Schlechte Düfte können hingegen auf Gefahren hinweisen, wie beispielsweise verdorbene Nahrung.
Moderne Imaging-Methoden zeigen, dass diese Wahrnehmungen im Gehirn bestimmte Antwortmuster hervorrufen, und dass je nach verarbeiteter Information spezifische Bereiche im Gehirn aktiviert werden. Wenn ein Duft als angenehm oder abstoßend eingestuft wird, bezeichnet man diese Art der Bewertung als hedonische Valenz. Untersuchungen an Fruchtfliegen ergaben, dass Duftmerkmale, die sich nach den Skalen hedonischer Valenz und Duftintensität charakterisieren lassen, Aktivität in einer übergeordneten Duftverarbeitungsregion im Gehirn hervorrufen, die als laterales Horn bezeichnet wird. Je nach Kategorisierung als gut oder schlecht, stark oder schwach ausgeprägt, kann Hirnaktivität in räumlich klar voneinander getrennten Bereichen im lateralen Horn sichtbar gemacht werden.
Wir waren überrascht, dass das laterale Horn, eine Hirnregion, die ebenso groß ist wie der Antennallobus (der Riechkolben der Insekten), in nur drei Aktivitätsbereiche aufgeteilt werden kann, während der Antennallobus aus mehr als 50 Funktionseinheiten besteht", fasst Silke Sachse, die Leiterin der BMBF-Forschungsgruppe, zusammen. Unsere Ergebnisse zeigen, dass diese höhere Hirnregion Düfte nach Bewertungskategorien, also gut gegen schlecht, abbildet, nicht jedoch die Identität einzelner Düfte widerspiegelt. Einzeldüfte sind vielmehr auf einer niedrigeren Verarbeitungsebene, wie der Antenne oder dem Antennallobus, repräsentiert."
Wie viele andere sensorische Netzwerke enthält der olfaktorische Schaltkreis der Fruchtfliege räumlich ausgeprägte Nervenverbindungen zu höheren Hirnregionen, die aus erregenden und hemmenden (inhibitorischen) Projektionsneuronen bestehen. Projektionsneurone sind Nervenzellen, die Sinnesimpulse zu anderen Bereichen des Nervensystems weiterleiten. Insbesondere die inhibitorischen Projektionsneurone, die in dieser Studie untersucht wurden, leiten Geruchsinformationen vom Antennallobus, dem erstem Verarbeitungszentrum von Düften, direkt und ausschließlich an das laterale Horn weiter. Der Pilzkörper, der für Lernen und Gedächtnis zuständige Teil im Zentralhirn der Fliegen, wird dabei umgangen. Dabei können diese inhibitorischen Projektionsneurone in zwei Gruppen morphologisch voneinander unterschieden werden: die erste Gruppe, die Informationen darüber weiterleitet, ob ein Duft attraktiv ist oder nicht, und eine zweite Gruppe, die über die Intensität eines Geruchs informiert. Um die Funktionsweise dieser Neurone zu testen, arbeiteten die Wissenschaftler mit Fliegen, in denen die Neurone selektiv ausgeschaltet wurden.
Interessanterweise konnten wir beobachten, dass diese Fliegen sich zu überhaupt keinem Duft mehr hingezogen fühlten. Sie mieden sogar Düfte, die sie sonst ausgesprochen attraktiv finden, wie zum Beispiel Balsamico-Essig. Wir nehmen daher an, dass inhibitorische Projektionsneurone dafür sorgen, dass Fliegen einen Duft anlockend finden und aufgrund der Attraktivität des Duftes ihre Nahrungsquellen oder Eiablageplätze finden können", erklärt Silke Sachse. Außerdem konnten die Wissenschaftler übergeordnete Neurone im lateralen Horn identifizieren, die ausschließlich abstoßende Düfte repräsentieren. Diese Neurone kommunizieren über Synapsen mit den inhibitorischen Projektionsneuronen.
Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass das laterale Horn in Fruchtfliegen eine ähnliche Funktion hat wie die Amygdala − wegen ihrer Form auch Mandelkern genannt − im Gehirn von Wirbeltieren. Beim Menschen spielt die Amygdala eine entscheidende Rolle im Hinblick auf die emotionale Bewertung von Situation und die Einschätzung von Gefahren. Bei Schädigung der Amygdala können Menschen keine Furcht oder Aggression mehr empfinden. Dies führt allerdings auch dazu, dass lebenswichtige Abwehrreaktionen nicht mehr ausgelöst werden können. Einen ähnlichen Effekt würde wahrscheinlich eine Schädigung des lateralen Horn bei Fliegen bewirken. Diese Annahme ist jedoch rein spekulativ, da man das laterale Horn bei Fliegen bisher nicht selektiv ausschalten konnte.
In ihrer Studie konnten die Max-Planck-Forscher das laterale Horn als Verarbeitungszentrum verhaltensrelevanter Geruchsinformationen identifizieren. So werden gute und schlechte Düfte im Fruchtfliegenhirn in unterschiedlichen Bereichen des lateralen Horns abgebildet. Wie mit Hilfe der räumlichen Kartierung dieser wichtiger und gleichzeitig schon bewerteter Duftinformationen Aussagen über zielgerichtetes geruchsgesteuertes Verhalten getroffen werden können, wollen die Wissenschaftler nun in weiteren Versuchen herausfinden. Dafür wollen sie die übergeordneten Neurone identifizieren und den olfaktorischen Schaltkreis bis in zentrale Hirnbereiche vervollständigen, wo die Entscheidungen getroffen werden, die letztendlich Verhalten auslösen. [AO]
Originalveröffentlichung:
Strutz, A., Soelter, J., Baschwitz, A., Farhan, A., Grabe, V., Rybak, J., Knaden, M., Schmuker, M., Hansson, B. S., Sachse, S. (2014). Decoding odor quality and intensity in the Drosophila brain. eLife 2014;4:e04147, DOI: 10.7554/eLife.04147
http://dx.doi.org/10.7554/eLife.04147
Weitere Informationen:
Dr. Silke Sachse, Max-Planck-Institut für chemische Ökologie, Tel. +49 3641 57- 1416, E-Mail ssachse [at] ice.mpg.de