Wird pflanzliches Gewebe verletzt oder zerstört, füllen angrenzende Zellen die Lücke mit ihren Tochterzellen. Welche Zellen sich jedoch teilen, um die Wunde zu heilen und wie sie es schaffen, den korrekten Zelltypus des verletzten Gewebes zu produzieren, war bislang nicht bekannt. WissenschafterInnen des Institute of Science and Technology Austria (IST Austria) konnten nun zeigen, dass vorwiegend die Nachbarzellen an der Innenseite der Wunde kaputtes Gewebe reparieren, indem sie Stammzellen-ähnliche Eigenschaften annehmen.
Die Gewebe aller pflanzlichen Organe - von den Blättern bis zu den Wurzeln - erleiden regelmäßig Verletzungen, u. a. verursacht durch mechanische Kräfte oder Fressfeinde. Während Tiere bei der Wundheilung auf spezialisierte mobile Zellen setzen können, mussten Pflanzen, deren Zellen nicht mobil sind, andere Mechanismen entwickeln: Bereits seit mehreren Jahrzehnten ist bekannt, dass an die Wunde angrenzende Zellen verletztes Gewebe durch neu produzierte Tochterzellen ersetzen. Ein komplett neuer Aspekt der pflanzlichen Wundheilung wurde jedoch erst jetzt entdeckt: Das Forscherteam rund um die ErstautorInnen Petra Marhava, ehemalige PhD-Studentin, Lukas Hörmayer, aktueller PhD-Student und Saiko Yoshida, ehemals Postdoc am IST Austria - alle drei in der Gruppe von Ji?í Friml - konnte in der Wurzelspitze einer Pflanze nachweisen, dass verletzte oder zerstörte Zellen nicht einfach durch gesunde Nachbarzellen vom selben Zelltyp oberhalb und unterhalb der Wunde ersetzt werden. Stattdessen reaktivieren die Zellen der innen anliegenden Gewebeschicht ihr Stammzellen-Programm, um Tochterzellen des korrekten Zelltyps zu produzieren und so die Lücke im Nachbargewebe zu schließen. Die ForscherInnen tauften diesen neu entdeckten, auf restorative Zellteilung" basierenden Prozess restorative Strukturbildung".
Wenn der Nachbar fehlt: Gewebelücken lösen restorative Zellteilung" aus
Mittels eines UV-Lasers entfernten Marhava et al. gezielt einzelne Zellen oder kleine Zellgruppen in der Wurzelspitze der Modellpflanze Arabidopsis thaliana. Mithilfe eines Vertikalmikroskops, das bereits in einem früheren Projekt am IST Austria entwickelt wurde, konnten die ForscherInnen den Wundheilungsprozess am lebenden Objekt und in Echtzeit mitverfolgen. Dabei beobachteten sie das Phänomen der restorativen Strukturbildung in verschiedensten Gewebeschichten: von der Epidermis über den Cortex und die Endodermis bis zur innersten Schicht perizyklischer Zellen, welche die Gefäße der Wurzelspitze im Zentralzylinder umschließt. In allen diesen Gewebeschichten teilten sich die direkt innen angrenzenden Zellen als Antwort auf eine zerstörte oder fehlende Nachbarzelle. Anders jedoch als bei der regulären Zellvermehrung lief der Zellzyklus bei dieser Form der Zellteilung signifikant schneller ab. Zudem beobachteten die ForscherInnen eine Drehung der neu gebildeten Zellwand um 90° - nur durch diese Drehung war es den Zellen möglich, sich, anders als beim regulären Längenwachstum, quer zur Wurzelachse anzuordnen.
Identitätswechsel: Tochterzelle von anderem Zelltyp als Mutterzelle
Weiters konnten die ForscherInnen mittels genetischer Markierung zeigen, dass die neu produzierten Zellen die an der Seite der Wunde entstanden, den Zelltyp der zu ersetzenden Zellen annahmen. Galt es zum Beispiel für eine Endodermiszelle eine benachbarte Cortexzelle zu ersetzen, erwarb die Tochterzelle den richtigen" Zelltypus einer Cortexzelle. Demnach sind diese Heilungszellen" in der Lage, sich asymmetrisch zu teilen, also Tochterzellen unterschiedlichen Zelltyps als jener der Mutterzelle zu produzieren - ein Vorgang, der klassischerweise ausschließlich in der Stammzellnische der Wurzel vorkommt, jener Region, in der Stammzellen spezialisierte Zellen hervorbringen.
Die Wurzeln der Neugier: Jungwissenschafter schaut bei Pflanzenwachstum genauer hin
Wie ein Stammzellen-Programm, also jene Transkriptionsfaktoren und die zugehörigen Gene, welche die restorative Zellteilung inklusive der Drehung der Zellteilungsebene steuern, in bereits spezialisierten Zellen aktiviert wird, ist noch nicht geklärt. Für Lukas Hörmayer jedoch ist die aktuelle Studie erst der Anfang - und das nicht nur, weil es sich hiermit um seine erste Publikation im Rahmen seines PhD-Programms am IST Austria handelt: Wir sind davon überzeugt, dass wir durch weitere, insbesondere molekulargenetische Untersuchungen nicht nur Wundheilungsprozesse besser verstehen werden, sondern auch, wie pflanzliche Organe geformt werden bzw. wie ihre Form aufrechterhalten wird." Den jungen Wissenschafter, der auf einem Weinbau in Niederösterreich aufgewachsen ist, hat es die Erforschung von Pflanzen angetan: Das ist zwar ein Blick in die ferne Zukunft, aber allein der Gedanke daran, unser Wissen über die Pflanzenwurzel mit meinen Entdeckungen erweitern zu können, motiviert mich immens, noch genauer hinzuschauen", so Hörmayer abschließend.
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Die Forschungsarbeit zu dieser Studie wurde gefördert vom European Research Council unter dem 7. Rahmenprogramm der Europäischen Union (FP7/2007-2013) / ERC grant agreement n° 742985, einem Marie Curie Fellowship (Vertrag Nr. 753138) sowie einem Long-Term Fellowship der Federation of European Biochemical Societies (FEBS).
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