News Release

Randexistenzen leben gefährlich

Im Zentrum ihres Verbreitungsgebietes kommen Tiere besser mit der Zerstückelung ihrer Lebensräume zurecht als an der Peripherie

Peer-Reviewed Publication

Helmholtz Centre for Environmental Research - UFZ

Sand Lizard

image: Sand lizards (Lacerta agilis) prefer relatively open landscapes with individual trees and shrubs. view more 

Credit: Annegret Grimm-Seyfarth / UFZ

Der Wandel von Klima und Landnutzung führt dazu, dass immer mehr Tiere und Pflanzen in schrumpfende Lebensräume zurückgedrängt werden, zwischen denen die Entfernungen immer größer werden. Während sie im Zentrum ihres Verbreitungsgebietes alle möglichen Lebensräume besiedeln können, sind sie an den Rändern auf spezielle Biotope mit besonders günstigen Eigenschaften angewiesen. Die Distanzen zwischen diesen Refugien zu überwinden, fällt Arten mit speziellen Ansprüchen besonders schwer. Deshalb beschränken sich ihre Vorkommen häufig auf kleine, isolierte Bestände, zwischen denen es wenig Austausch gibt. Entsprechend gering ist die genetische Vielfalt ihrer Mitglieder. „Deshalb können sich solche Populationen oft nur schlecht an neue Klimaverhältnisse, Parasiten oder andere Herausforderungen anpassen“, erklärt Prof. Klaus Henle vom UFZ. Das Aussterberisiko steigt.

Die Populationen am Rand eines Verbreitungsgebietes sind also spezialisierter und sensibler. Reagieren sie in diesem Kontext auch empfindlicher auf Fragmentierung als ihre Artgenossen im Zentrum? Solche Vergleiche wurden bislang nur zwischen verschiedenen Arten gezogen. Niemand wusste, ob es diese Unterschiede auch innerhalb derselben Art gibt. Klaus Henle und seine Kollegen haben das nun am Beispiel der Zauneidechse überprüft.

Die kleinen Reptilien, die von Zentralfrankreich bis zum Baikalsee und von Südschweden bis zum Balkan vorkommen, haben eine Vorliebe für relativ offene Landschaften mit einzelnen Gehölzen. Das können zum Beispiel Trockenrasen, Heideflächen oder Bahndämme sein. Damit es ihnen nicht zu heiß wird, brauchen sie in ihren südlichen Verbreitungsgebieten mehr schattenspendende Vegetation als ihre Artgenossen in Mitteleuropa. In Skandinavien beschränken sie sich dagegen gerade auf die besonders sonnigen und warmen Standorte.

Beispiel Zauneidechse

Um ihre Hypothese – Tiere einer Art kommen im Zentrum ihres Verbreitungsgebietes besser mit der Fragmentierung ihrer Lebensräume zurecht als an der Peripherie – zu überprüfen, untersuchten die Wissenschaftler fünf Zauneidechsen-Populationen in Sofia, am südlichsten Rand des Verbreitungsgebietes dieser Art, und elf Populationen in Leipzig, was etwa im Zentrum des Verbreitungsgebietes von Zauneidechsen liegt. „In beiden Städten sind die Tiere mit Fragmentierung konfrontiert“, sagt Klaus Henle. So erlebt Sofia seit Ende des 20. Jahrhunderts einen regelrechten Bauboom. Dadurch sind in den letzten zehn bis 15 Jahren nicht nur viele Grünflächen in der bulgarischen Hauptstadt unter Wohn- und Gewerbegebieten verschwunden. Die großen Parks wurden zudem durch neue Gebäude zerteilt, so dass die einzelnen Areale samt ihrer schuppigen Bewohner nun voneinander isoliert sind. In Leipzig besteht zwar noch immer rund die Hälfte des Stadtgebietes aus Grünflächen, längst nicht alle davon bieten aber geeignete Eidechsen-Lebensräume. Auch in der sächsischen Großstadt gibt es daher Vorkommen, die weiter als vier Kilometer auseinander liegen. Größere Distanzen aber können die kleinen Reptilien nach bisherigen Erfahrungen kaum überwinden.

„Wir wollten also herausfinden, welche Spuren diese Fragmentierung im Erbgut der Tiere hinterlässt“, sagt Prof. Martin Schlegel von der Universität Leipzig. Dazu sind er und seine Kolleginnen und Kollegen in beiden Städten auf Eidechsen-Fang gegangen, haben den Tieren eine kleine Gewebeprobe vom Schwanz entnommen und sie dann wieder freigelassen. Das so gewonnene Material haben sie dann genutzt, um mithilfe sogenannter Mikrosatelliten einen Blick ins Erbgut der Eidechsen zu werfen. Interessant war dabei die genetische Vielfalt der einzelnen Bestände, die sich anhand verschiedener Kriterien miteinander vergleichen ließ.

Der Trend war dabei deutlich: In beiden Städten waren die Populationen zwar fast komplett isoliert. Doch die bulgarischen Eidechsen hatten auf ähnlich großen Flächen deutlich mehr an genetischer Variabilität verloren als ihre sächsischen Artgenossen. „Offenbar reagieren die Tiere am Rand ihres Verbreitungsgebietes also tatsächlich empfindlicher auf Fragmentierung“, folgert Martin Schlegel.

Welche konkreten Folgen das für die Reptilien hat, will das Wissenschaftlerteam nun weiter untersuchen. „Wir vermuten, dass die Tiere in Bulgarien weniger fit sind“, sagt Ökologe Henle. Das könnte sich zum Beispiel in einem schlechteren körperlichen Zustand oder einer höheren Anfälligkeit für Parasitenbefall äußern. Und solche Faktoren könnten durchaus zum Rückgang der Reptilienbestände beigetragen haben, die Naturschützer seit einigen Jahren in Sofia beobachten. So war die Zauneidechse dort noch in den 1990er Jahren eine häufige Art, die in Parks, auf Friedhöfen und vor allem am Stadtrand auch auf den Grünflächen zwischen den Wohnblocks lebte. Doch gerade die Populationen in kleinen Refugien sind massiv geschrumpft, in etlichen Stadtteilen ist die Art inzwischen ausgestorben.

„Wir gehen davon aus, dass es ähnliche Effekte auch bei vielen anderen Arten gibt“, sagt Klaus Henle. Das wäre eine wichtige Information für den Naturschutz. Denn es könnte bedeuten, dass etliche Tiere mehr Schwierigkeiten mit der Fragmentierung ihrer Lebensräume haben, als bisher angenommen. Schließlich kann es durchaus sein, dass sich die dazu durchgeführten Studien bisher nur auf das Zentrum des jeweiligen Verbreitungsgebietes konzentriert haben. Wenn diese dann Entwarnung geben, muss das aber keineswegs bedeuten, dass auch die Populationen an der Peripherie in Sicherheit sind. Wenn diese erhalten bleiben sollen, brauchen sie womöglich deutlich mehr Unterstützung als ihre Artgenossen im Zentrum – zum Beispiel in Form von besonders attraktiven Wanderkorridoren, in denen sie die Distanzen zwischen den einzelnen Lebensräumen überwinden können. Für Klaus Henle ist jedenfalls klar, dass die Randexistenzen der Tierwelt mehr Aufmerksamkeit verdienen: „Wenn man gefährdete Arten erhalten will, darf man nicht nur auf ihre Hochburgen schauen“.

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