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Der Gesang der in Nordamerika beheimateten Einsiedlerdrossel unterliegt Prinzipien, die typisch für menschliche Musik sind nämlich Töne aus der Obertonreihe. Tecumseh Fitch und Bruno Gingras, beide Kognitionsbiologen an der Universität Wien, konnten dies nun erstmals zusammen mit einem internationalen Team mit analytischen Methoden belegen. Die Ergebnisse sind vor allem für die "Anlage-Umwelt-Diskussion" relevant. Im konkreten Fall für die Frage, ob musikalische Merkmale, wie die Präferenz für konsonante Intervalle, biologisch oder kulturell determiniert sind. Die Studie erscheint aktuell in PNAS (Proceedings of the National Academy of Sciences).
Weltweit verwenden viele musikalische Kulturen Tonhöhensysteme, in denen Töne durch einfache ganzzahlige Verhältnisse (Verhältnisse zwischen den Tonfrequenzen) miteinander in Beziehung stehen und eine Obertonreihe (Naturtonreihe) bilden. Die diatonische Dur-Tonleiter, die in der westlichen Musik vorherrscht, ist ein typisches Beispiel. Seit langem wird diskutiert, welchen relativen Anteil biologische oder kulturelle Faktoren in der Entwicklung dieser Tonhöhensysteme haben. Eine Möglichkeit zur Beantwortung dieser Frage ergibt sich durch das Studium von "Tiergesang": Wenn nämlich die Gesänge von einigen Tierarten, wie z.B. von Vögeln und Walen, auf einigen selben Prinzipien wie die von menschlichen Musiksystemen basieren, könnte das auf eine biologische Grundlage von diesen musikalischen Systemen hinweisen.
"Die Einsiedlerdrossel ist ein häufiger, mittelgroßer nordamerikanischer Singvogel, dessen Gesang die Aufmerksamkeit von Ornithologen und Musikwissenschaftlern seit mehr als einem Jahrhundert auf sich gezogen hat. In Studien des frühen 20. Jahrhunderts wurde behauptet, dass der Gesang der Einsiedlerdrossel den Prinzipien, die dem menschlichen Musiksystem zugrunde liegen, folgt", so Tecumseh Fitch, Professor am Institut für Kognitionsbiologie der Universität Wien. Dabei handelt es sich jedoch um anekdotenhafte Berichte, die nicht auf seriöse Analysen beruhen. "Unsere neue Studie zeigt, dass Einsiedlerdrosseln tatsächlich Töne verwenden, die im Allgemeinen durch kleine ganzzahlige Verhältnisse miteinander in Beziehung stehen, so wie menschliche Musik. Des Weiteren sind die verwendeten Töne Bestandteil derselben Obertonreihe, was bedeutet, dass die Töne ganzzahlige Vielfache derselben Grundfrequenz sind", erklärt Bruno Gingras, Postdoc in der Gruppe von Tecumseh Fitch an der Universität Wien. Die beiden Kognitionsbiologen forschten zusammen mit einem Team von WissenschafterInnen von dem Cornish College of the Arts, USA, und der Philipps-Universität Marburg, Deutschland.
Internationale Kooperation für Tonanalyse
Um diesen Schluss ziehen zu können, haben Emily Doolittle (Cornish College of the Arts) und Tecumseh Fitch (Universität Wien) Aufnahme von Gesängen von 14 männlichen Einsiedlerdrosseln analysiert. Bruno Gingras (Universität Wien) und Dominik Endres (Philipps Universität Marburg) haben dann zwei unterschiedliche statistische Methoden verwendet, um zu demonstrieren, dass in den meisten Fällen die Töne der Einsiedlerdrosseln kleine ganzzahlige Vielfache einer Grundfrequenz sind, und dass diese Töne einer Obertonreihe entsprachen. Die AutorInnen haben andere Alternativerklärungen ausgeschlossen, wie z.B. die Möglichkeit, dass Einsiedlerdrosseln Töne aufgrund der Resonanzen des Vokaltrakts wählen, in ähnlicher Weise wie es bei Blasinstrumenten wie dem Alphorn der Fall ist. Daher weisen die Ergebnisse stark darauf hin, dass die Einsiedlerdrossel aktiv die Tonhöhen, die sie bei ihrem Gesang verwenden, auswählen.
Warum folgt die Einsiedlerdrossel der Obertonreihe?
Obwohl weitere Forschung notwendig ist, um zu erklären, warum Einsiedlerdrosseln Tonhöhen wählen, die einer Obertonreihe entsprechen, erwähnen die AutorInnen zwei mögliche Erklärungsansätze. Erstens wäre es möglich, dass weibliche Einsiedlerdrosseln die Qualität des männlichen Vogelgesangs aufgrund der Genauigkeit, mit welcher der Obertonreihe gefolgt werden kann, evaluieren. Zweitens wäre es möglich, dass Einsiedlerdrosseln wie Menschen, Tonhöhen, die einer Obertonreihe folgen, leichter verarbeiten oder im Gedächtnis speichern.
Unter Berücksichtigung andere aktueller Forschungsergebnisse, wie etwa der Erkenntnis, dass neu geschlüpfte Küken eine Präferenz für konsonante Intervalle zeigen, stützen die aktuellen Ergebnisse die Hypothese, dass einige Merkmale von menschlichen Musiksystemen zumindest teilweise auf biologischen Prinzipien basieren, die mit Tierarten geteilt werden. Die aktuellen Ergebnisse sind somit von besonderer Relevanz für die langjährige Debatte über die Ursprünge der menschlichen Musikpräferenzen.
Publikation in PNAS:
Emily L. Doolittle, Bruno Gingras, Dominik M. Endres, W. Tecumseh Fitch: Overtone-based pitch selection in hermit thrush song: Unexpected convergence with scale construction in human music. Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS). November 2014.
DOI: http://www.pnas.org/cgi/doi/10.1073/pnas.1406023111
Journal
Proceedings of the National Academy of Sciences