Mit ihren durchscheinenden Schirmen bewegen sich Ohrenquallen (Aurelia aurita) auf eine sehr effiziente Weise in den Weltmeeren fort. Wissenschaftler der Universität Bonn haben nun anhand eines mathematischen Modells untersucht, wie es diesen Nesseltieren gelingt, mit ihren neuronalen Netzwerken die Fortbewegung zu steuern, selbst wenn sie verletzt sind. Die Ergebnisse könnten möglicherweise auch zu einer Optimierung von Unterwasserrobotern beitragen. Die Studie ist bereits online im Fachjournal eLife veröffentlicht, die Endfassung erscheint demnächst.
Ohrenquallen (Aurelia aurita) sind nahezu in allen Ozeanen verbreitet. Mit ihren rund drei bis 30 Zentimeter großen, durchscheinenden Schirmen bewegen sich die Nesseltiere in den Meeren fort. Diese Quallen haben ringförmige Muskeln, die sich zusammenziehen und damit das Wasser aus dem Schirm drücken, erläutert Erstautor Fabian Pallasdies von der Forschungsgruppe Neuronale Netzwerkdynamik und Informationsverarbeitung am Institut für Genetik der Universität Bonn.
Ohrenquallen sind bei der Fortbewegung besonders effizient: Sie erzeugen am Rand ihres Schirmes Wirbel, die den Vortrieb verstärken. Pallasdies: Weiterhin ist nur für das Zusammenziehen des Schirmes Muskelkraft erforderlich, die Ausdehnung geschieht automatisch, weil das Gewebe elastisch ist und in die ursprüngliche Form zurückkehrt.
Quallen zur Erforschung der Ursprünge des Nervensystems
Die Wissenschaftler der Forschungsgruppe haben nun ein mathematisches Modell der Nervennetzwerke von Ohrenquallen entwickelt und daran untersucht, wie sie die Fortbewegung der Tiere steuern. Quallen gehören zu den ältesten und einfachsten Organismen, die sich im Wasser fortbewegen, sagt der Leiter der Forschungsgruppe Prof. Dr. Raoul-Martin Memmesheimer. Anhand von ihnen und anderen frühen Organismen soll nun auf die Ursprünge des Nervensystems geschlossen werden.
Gerade in den 50er und 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurden an Quallen viele experimentelle neurophysiologische Daten gewonnen, auf die die Forscher der Universität Bonn ihr mathematisches Modell stützen. Dabei berücksichtigten sie in mehreren Schritten einzelne Nervenzellen, Nervenzellnetzwerke und das gesamte Tier sowie das umgebende Wasser. Mit dem Modell lässt sich die Frage beantworten, wie die Erregungen einzelner Nervenzellen zur Fortbewegung der Ohrenquallen führen, sagt Pallasdies.
Die Quallen können mit Lichtreizen und mit einem Gleichgewichtsorgan ihre Lage wahrnehmen. Wird eine Ohrenqualle von der Meeresströmung gedreht, gleicht das Tier dies wieder aus und bewegt sich zum Beispiel weiter zur Wasseroberfläche. Mit ihrem Modell konnten die Forscher die Vermutung bestätigen, dass die Ohrenqualle ein Nervenzellnetzwerk fürs Geradeausschwimmen und zwei für Drehbewegungen nutzt.
Wellenförmige Ausbreitung der Erregung
Die Aktivität der Nervenzellen breitet sich im Schirm der Qualle wellenförmig aus. Wie bereits Experimente aus dem 19. Jahrhundert zeigen, funktioniert die Fortbewegung sogar noch, wenn große Teile des Schirms verletzt sind. Die Wissenschaftler an der Universität Bonn erklären dieses Phänomen nun mit ihren Simulationen: Quallen können an jedem Ort auf ihrem Schirm Signale wahrnehmen und weitergeben, sagt Pallasdies. Wenn eine Nervenzelle feuert, feuern auch die anderen, selbst wenn Abschnitte des Schirms beeinträchtigt sind.
Allerdings würde die wellenförmige Ausbreitung der Erregung im Schirm der Qualle gestört, wenn die Nervenzellen beliebig feuerten. Wie die Forscher nun anhand ihres Modells herausgefunden haben, wird diese Gefahr unterbunden, indem die Nervenzellen nach dem Feuern so schnell nicht wieder aktiv werden können.
Die Wissenschaftler hoffen, durch weitere Forschung aufklären zu können, wie die frühe Evolution der Nervenzellnetzwerke verlaufen ist. Derzeit werden auch Unterwasserroboter entwickelt, die sich nach dem Schwimmprinzip der Quallen fortbewegen. Pallasdies: Vielleicht kann unsere Studie auch dazu beitragen, die autonome Steuerung dieser Roboter zu verbessern.
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Publikation: Fabian Pallasdies, Sven Goedeke, Wilhelm Braun, Raoul-Martin Memmesheimer: From Single Neurons to Behavior in the Jellyfish Aurelia aurita, eLife, Internet: https://elifesciences.org/articles/50084
Kontakt für die Medien:
Fabian Pallasdies
Institut für Genetik
Universität Bonn
Tel. 030-2093-98407
E-Mail: fabianpallasdies@gmail.com
Prof. Dr. Raoul-Martin Memmesheimer
Institut für Genetik
Universität Bonn
Tel. 0228-739824
E-Mail: rm.memmesheimer@uni-bonn.de