(Wien, 18. Februar 2021) Weltweit suchen Gemeinden nach Loesungen fuer soziale Ungleichheit. Ein vielversprechender Ansatz koennte darin bestehen, das Design einer Stadt genauer unter die Lupe zu nehmen, so eine Datenanalyse in der Zeitschrift Nature Communications.
Wie das internationale Forschungsteam, darunter Mitglieder des Complexity Science Hub Vienna (CSH), zeigt, hat die Stadtplanung direkten Einfluss auf die Bildung sozialer Netzwerke und damit wiederum auf die soziooekonomische Gleichheit oder Ungleichheit der Bevoelkerung.
"Wir wissen, wie wichtig soziale Netzwerke fuer das soziale und wirtschaftliche Leben der Menschen sind", erklaert CSH-Forscher Johannes Wachs, einer der Autoren der Studie. Soziale Beziehungen bieten Individuen Zugang zu Ressourcen, Informationen, wirtschaftlichen Moeglichkeiten sowie anderen Formen von Unterstuetzung. Die Studie zeigt, dass die wirtschaftliche Ungleichheit in Staedten mit gleichmaessig verteilten sozialen Netzwerken tendenziell deutlich geringer ist als in Staedten mit stark fragmentierten sozialen Netzwerken.
Die Wissenschaftler fanden sogar einen Teufelskreis: Je hoeher die Fragmentierung der sozialen Netzwerke, desto hoeher wurde die Einkommensungleichheit in einer Stadt im Laufe der Zeit.
Doch woher kommt eine solche Fragmentierung? Die Wissenschaftler vermuten eine Ursache in der Geografie.
Um ihre Hypothese zu testen, verwendeten die Komplexitaetsforscher einen grossen Datensatz aus Ungarn mit zwei Millionen Personen aus etwa 500 Staedten. Die Daten stammen von iWiW, einer frueher - und vor Facebook - sehr beliebten Social-Media-Plattform, die von fast 40 Prozent der ungarischen Bevoelkerung genutzt wurde.
"Aus der Stadtsoziologie wissen wir, dass Menschen nur schwer soziale Bindungen aufbauen koennen, wenn sie durch physische Hindernisse wie Fluesse, Eisenbahnen, Autobahnen oder Mauern voneinander getrennt sind", so Johannes Wachs. "Es war beeindruckend, das in unseren Daten bestaetigt zu sehen: Nur durch die Form der sozialen Netzwerke konnten wir sehen, wo es in einer Stadt starke physische Huerden geben muss."
Stadtdesign und Einkommen gehen Hand in Hand
"Wir haben die Hypothese aufgestellt - und mit unseren Ergebnissen nun auch bestaetigt -, dass wir dort Ungleichheit sehen werden, wo wertvolle Ideen und Informationen nicht frei durch eine Stadt fliessen koennen, weil diese Stadt raeumlich fragmentiert ist, was wiederum zu sozialer Fragmentierung fuehrt. Wir sehen also ganz deutlich, wie stark Geografie und Einkommensungleichheit zusammenhaengen."
Natuerlich bilden sich soziale Netzwerke nicht in einem Vakuum. Viele verschiedene Mechanismen beeinflussen, mit wem wir regelmaessig in Kontakt sind. Zum Beispiel neigen Menschen dazu, sich mit aehnlichen Menschen anzufreunden ("homophily"). Auch FreundInnen von FreundInnen zeigen die Tendenz, ebenfalls zu FreundInnen zu werden ("triadic closure"). Die iWiW-Daten fanden jedoch, dass geografische Merkmale von Staedten ebenfalls ein starker Praediktor fuer die Fragmentierung sozialer Netzwerke sind.
Diese Erkenntnisse sind von grossem Wert fuer die Stadtplanung. Man kann soziale Netzwerke kaum direkt ueber die oeffentliche Politik veraendern - man kann Menschen ja nicht dazu zwingen, zu interagieren, wenn sie es nicht wollen", so der CSH-Forscher. Dennoch treffen Staedte und Gemeinden laufend Entscheidungen ueber ihre gebaute Umwelt, Entscheidungen, die Auswirkungen darauf haben, wie sich die BewohnerInnen treffen und wie sie interagieren koennen. "Wenn sich diese Entscheidungen an unseren Erkenntnissen orientieren, sagen wir voraus, dass Staedte in Zukunft weniger Probleme mit Ungleichheit haben werden", so Johannes Wachs.
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G. Toth, J., R. Di Clemente, A. Jakobi, B. Sagvari, J. Kertesz, B. Lengyel, "Inequality is rising where social network segregation interacts with urban topology, Nature Communications (18 Feb 2021) doi: 10.1038/s41467-021-21465-0
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Nature Communications