Frankfurt/ Leipzig, den 24.09.2018. Die Arktis ist bislang eine Domäne niedrigwüchsiger Gräser und Zwergsträucher. Um den harten Umweltbedingungen zu widerstehen, kauern sie sich dicht an den Boden und werden oft nur wenige Zentimeter hoch. Zunehmend breiten sich hier jedoch neue, größere Pflanzenarten aus. Daher sind in der arktischen Tundra in den letzten 30 Jahren deutlich höherwüchsige Pflanzengemeinschaften entstanden. Das berichtet eine Gruppe von fast 130 internationalen Biologen unter der Leitung des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) und des Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrums heute im Fachmagazin Nature.
Die Studie, die von einer Arbeitsgruppe von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern initiiert wurde, die durch das Deutsche Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) gefördert wurde, basiert auf der Auswertung des bislang umfangreichsten verfügbaren Datensatzes zu Pflanzen in der arktischen Tundra. Er beinhaltet Daten von fast 120 Tundra-Gebieten in den arktischen Regionen von Alaska, Kanada, Island, Skandinavien und Sibirien sowie anderen Regionen, in denen die Höhe der Pflanzen gemessen wurde.
Die Daten zeigen: Der Zuwachs hat nicht nur in bestimmten Gebieten stattgefunden, sondern fast überall, so Dr. Anne Bjorkman, Erstautorin der Studie, die heute am Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum arbeitet und die Studie am Forschungszentrum iDiv, der Universität Edinburgh und der Universität Aarhus durchgeführt hat.
Laut den Forscherinnen und Forschern ist die globale Klimaerwärmung für diese Entwicklung verantwortlich. In den letzten 30 Jahren sind die Temperaturen in der Arktis um rund 1 Grad im Sommer und 1,5 Grad im Winter angestiegen. Die Arktis ist damit eine der sich am schnellsten erwärmenden Regionen der Erde.
Eine Detailanalyse ergab, dass nicht nur die einzelnen Pflanzenindividuen im Zuge wärmerer Temperaturen größer werden, sondern sich auch die Zusammensetzung der Pflanzengemeinschaft geändert hat. Höher wachsende Pflanzenarten, die entweder aus wärmeren Gebieten innerhalb der Tundra oder aus südlicheren Regionen außerhalb kommen, haben sich in den letzten 30 Jahren in der Tundra ausgebreitet, sagt Dr. Nadja Rüger, Wissenschaftlerin am Forschungszentrum iDiv und der Universität Leipzig und eine der Co-Autorinnen der Studie.
Diese Entwicklung ist noch längst nicht abgeschlossen Wenn sich die höherwüchsigen Pflanzen weiter wie bisher ausbereiten, könnte die Wuchshöhe von Pflanzengemeinschaften in der Tundra bis zum Ende des Jahrhunderts durchschnittlich nochmals um 20 bis 60 % zunehmen, so Bjorkman. Überraschenderweise führt so die Studie der Zuwachs an höherwüchsigen Pflanzen jedoch nicht unmittelbar dazu, dass die kleineren Arten verschwinden.
Der arktischen Tundra wird in der Klimaforschung große Aufmerksamkeit zuteil, denn im Permafrostboden lagert circa ein Drittel bis die Hälfte des weltweit im Boden gebundenen Kohlenstoffs. Wenn der Boden taut, könnten daher Treibhausgase freigesetzt werden und eine Zunahme an höherwüchsigen Pflanzen könnte diesen Prozess beschleunigen. Denn um höherwüchsige Pflanzen sammelt sich im Winter mehr Schnee an. Der darunter liegende Boden wird dadurch isoliert und friert daher im Winter nicht so schnell und nicht so tief. Obwohl es noch viele Unsicherheiten gibt, könnten die höherwüchsigen Pflanzen in der Tundra den Klimawandel sowohl in der Arktis als auch weltweit weiter anheizen, folgert Bjorkman.
Im Gegensatz zum Höhenwachstum konnten die Forscher bei sechs anderen Eigenschaften von Pflanzen, beispielsweise Blattfläche oder Stickstoffgehalt der Blätter, über die letzten 30 Jahre hinweg keine klaren Trends erkennen. Grund ist, dass diese Merkmale neben der Temperatur maßgeblich von der Feuchtigkeit des jeweiligen Standorts beeinflusst werden.
Laut den Autoren deutet dieser zweite Befund darauf hin, dass die Reaktion der Pflanzengemeinschaften auf den Klimawandel insgesamt davon abhängt, ob die Tundra trockener oder feuchter wird. Rüger sagt dazu: Um zukünftige Veränderungen der Pflanzenwelt in der Tundra zu prognostizieren, ist es daher wichtig, nicht nur im Blick zu behalten, wie sich die Temperatur entwickelt, sondern auch die Verfügbarkeit von Wasser. Wenn sich die Niederschlagsmenge oder der Wasserkreislauf ändern oder sich der Zeitpunkt der Schneeschmelze verschiebt, kann dies erhebliche Auswirkungen auf die Pflanzenwelt haben.
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Originalpublikation:
Anne D. Bjorkman, Isla H. Myers-Smith, Sarah C. Elmendorf, Signe Normand, Nadja Rüger, Pieter S. A. Beck, Anne Blach-Overgaard, Daan Blok, J. Hans C. Cornelissen, Bruce C. Forbes, Damien Georges, Scott J. Goetz, Kevin Guay, Gregory H. R. Henry, Janneke HilleRisLambers, Robert D. Hollister, Dirk N. Karger, Jens Kattge, Peter Manning, Janet S. Prevéy, Christian Rixen, Gabriela Schaepman-Strub, Haydn J. D. Thomas, Mark Vellend, Martin Wilmking, Sonja Wipf, Michele Carbognani, Luise Hermanutz, Esther Lévesque, Ulf Molau, Alessandro Petraglia, Nadejda A. Soudzilovskaia, Marko J. Spasojevic, Marcello Tomaselli, Tage Vowles, Juha M. Alatalo, Heather D. Alexander, Alba Anadon-Rosell, Sandra Angers-Blondin, Mariska te Beest, Logan Berner, Robert G. Björk, Agata Buchwal, Allan Buras, Katherine Christie, Elisabeth J. Cooper, Stefan Dullinger, Bo Elberling, Anu Eskelinen, Esther R. Frei, Oriol Grau, Paul Grogan, Martin Hallinger, Karen A. Harper, Monique M. P. D. Heijmans, James Hudson, Karl Hülber, Maitane Iturrate-Garcia, Colleen M. Iversen, Francesca Jaroszynska, Jill F. Johnstone, Rasmus Halfdan Jørgensen, Elina Kaarlejärvi, Rebecca Klady, Sara Kuleza, Aino Kulonen, Laurent J. Lamarque, Trevor Lantz, Chelsea J. Little, James D. M. Speed, Anders Michelsen, Ann Milbau, Jacob Nabe-Nielsen, Sigrid Schøler Nielsen, Josep M. Ninot, Steven F. Oberbauer, Johan Olofsson, Vladimir G. Onipchenko, Sabine B. Rumpf, Philipp Semenchuk, Rohan Shetti, Laura Siegwart Collier, Lorna E. Street, Katharine Suding, Ken D. Tape, Andrew Trant, Urs A. Treier, Jean-Pierre Tremblay, Maxime Tremblay, Susanna Venn, Stef Weijers, Tara Zamin, Noemie Boulanger-Lapointe, William A. Gould, David S. Hik, Annika Hofgaard, Ingibjörg S. Jónsdóttir, Janet Jorgenson, Julia Klein, Borgthor Magnusson, Craig Tweedie, Philip A. Wookey, Michael Bahn, Benjamin Blonder, Peter M. van Bodegom, Benjamin Bond-Lamberty, Giandiego Campetella, Bruno E. L. Cerabolini, F. Stuart Chapin III, William K. Cornwell, Joseph Craine, Matteo Dainese, Franciska T. de Vries, Sandra Díaz, Brian J. Enquist, Walton Green, Ruben Milla, Ülo Niinemets, Yusuke Onoda, Jenny C. Ordoñez, Wim A. Ozinga, Josep Penuelas, Hendrik Poorter, Peter Poschlod, Peter B. Reich, Brody Sandel, Brandon Schamp, Serge Sheremetev & Evan Weiher (publiziert am 26. September 2018): Plant functional trait change across a warming tundra biome. Nature. Doi: 10.1038/s41586-018-0563-7.
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Naturforschung seit nunmehr 200 Jahren. Diese integrative Geobiodiversitätsforschung sowie die Vermittlung von Forschung und Wissenschaft sind die Aufgaben Senckenbergs. Drei Naturmuseen in Frankfurt, Görlitz und Dresden zeigen die Vielfalt des Lebens und die Entwicklung der Erde über Jahrmillionen. Die Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung ist ein Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft. Das Senckenberg Naturmuseum in Frankfurt am Main wird von der Stadt Frankfurt am Main sowie vielen weiteren Partnern gefördert. Mehr Informationen unter http://www.senckenberg.de.
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Nature