FRANKFURT am MAIN. Der mit 120.000 Euro dotierte Paul Ehrlich- und Ludwig Darmstaedter-Preis 2021 geht in diesem Jahr an die Amerikanerin Bonnie L. Bassler von der Princeton University und dem Howard Hughes Medical Institute und den Amerikaner Michael R. Silverman, Emeritus des Agouron Institute in La Jolla. Die beiden werden für ihre bahnbrechenden Entdeckungen zum Quorum Sensing" ausgezeichnet. Dieser Begriff bezeichnet die Strategie der bakteriellen Kommunikation. Die Preisverleihung in der Paulskirche, die traditionell am 14. März, dem Geburtstag von Paul Ehrlich, mit einem Festakt gefeiert wird, fällt in diesem Jahr wegen der Corona-Pandemie aus. Die Ehrung wird im kommenden Jahr zusammen mit den Preisträgern 2022 nachgeholt.
Silverman und Bassler haben gezeigt, dass kollektives Verhalten nicht nur die Regel unter vielzelligen Organismen ist, sondern auch unter Bakterien", schreibt der Stiftungsrat der Paul Ehrlich-Stiftung in seiner Begründung. Auch Bakterien verständigen sich untereinander, belauschen sich gegenseitig, treffen Absprachen und koordinieren damit ihr Verhalten. Die allgegenwärtige Kommunikation unter Bakterien stellt eine erst durch die Preisträger erkannte Achillesferse dar, die neue Ansätze liefert, Mikroben zu bekämpfen. Statt Bakterien mit Antibiotika zu töten, können nun Substanzen entwickelt werden, die die bakterielle Kommunikation unterbinden. Die Forschung der Preisträger hat damit eine erhebliche Relevanz für die Medizin", so der Stiftungsrat weiter.
Bakterien sind äußerst kommunikativ. Sie senden und empfangen Signale, um herauszufinden, ob sie allein oder mit vielen Artgenossen vor Ort sind. Gleichzeitig interessieren sie sich auch dafür, ob noch andere Arten anwesend sind und wer das Sagen hat: sie oder die anderen. Für diese Kommunikation wurde der Begriff Quorum Sensing geprägt. Um die Zahl an Bakterien in einer bestimmten Umgebung zu messen, sezernieren Bakterien bestimmte Sprachmoleküle, deren Konzentration mit der Anzahl der Bakterien zunimmt. Überschreitet die Konzentration einen bestimmten Schwellenwert, setzt ein gruppenspezifisches Verhalten ein, das einer Bakteriengemeinschaft neue Eigenschaften verleiht. Durch die Arbeit der Preisträger wissen wir heute, dass dieses Phänomen in der gesamten Welt der Bakterien verbreitet ist.
Silverman hat in den 1980er-Jahren das erste Quorum-Sensing-System bei dem marinen Bakterium Vibrio fischeri entdeckt. Es gelang ihm, die Information für Bildung des Sprachmoleküls Autoinducer-1 und dessen Rezeptor auf andere Bakterien zu übertragen und damit genetisch zu definieren. Vibrio fischeri sorgt mit diesem Sprachmolekül dafür, dass ein Zwergtintenfisch nachts blau-grün leuchtet und dadurch im Mondlicht keinen verräterischen Schlagschatten im flachen Meerwasser wirft. Allerdings erzeugt Vibrio fischeri dieses Licht erst bei hoher Zellzahl. Gemessen wird sie über die Freisetzung von Autoinducer-1, dessen Konzentration direkt mit der Zahl der anwesenden Bakterien in dem Leuchtorgan des Zwergtintenfischs korreliert. Wird ein bestimmter Schwellenwert erreicht - und damit ein gewisses Quorum -, machen die Moleküle kehrt, wandern zurück in die Bakterienzelle und sorgen dafür, dass das Licht angeschaltet wird und der Tintenfisch leuchtet.
Als Bonnie Bassler Anfang der 1990er-Jahre die Existenz des Quorum Sensings bei dem Bakterium Vibrio harveyi nachweisen wollte, stieß sie auf ein völlig neues Sprachmolekül, dass sie Autoinducer-2 nannte. Sie konnte zeigen, dass dieses Molekül einen anderen Nachrichtenwert hat. Es informiert nicht über das eigene Quorum, sondern über das Quorum der Konkurrenz, denn Bakterien leben selten in Reinkultur wie im Leuchtorgan des Zwergtintenfischs, sondern in Gemeinschaften wie im Darm oder auf der Haut. Der Autoinducer-2 unterrichtet die Bakterien darüber, ob andere Arten vor Ort sind und wer in der Überzahl ist. Letzteres ergibt sich aus dem Verhältnis der Autoinducer-Moleküle zueinander. Damit war gezeigt worden, dass Bakterien viele Sprachen beherrschen und sogar zwischen Freund und Feind unterscheiden können - Leistungen, die wir vom Nerven- und Immunsystem her kennen.
Heute weiß man, dass es Hunderte von Sprachmolekülen und Quorum-Sensing-Systemen gibt. Bonnie Bassler hat in den vergangenen Jahren zudem gezeigt, dass sich auch Viren und die Zellen der Wirtsorganismen in dieses allgegenwärtige bakterielle Palaver einklinken und das Quorum Sensing der Bakterien für ihre Zwecke nutzen. Sie entdeckte zum Beispiel, dass der Schleim des menschlichen Darms von den Bakterien des Mikrobioms dazu benutzt wird, ein Sprachmolekül zu bilden, das krankmachende Bakterien auf Distanz hält. Damit verbündet sich der menschliche Darm über den abgegebenen Schleim mit seinen nützlichen Bakterien im Kampf gegen schädliche oder unerwünschte Keime. Es gibt also auch eine Kommunikation über die verschiedenen Domänen des Lebens hinweg.
Die Bedeutung der Entdeckungen der beiden Laureaten für die Mikrobiologie und Medizin ist erst kürzlich in ihrer ganzen Tragweite erkannt worden", sagt Professor Thomas Boehm, Direktor am Max-Planck-Institut für Immunbiologie und Epigenetik in Freiburg und Vorsitzender des Stiftungsrates. Erst nach Jahrzehnten zäher Forschungsarbeit und nach vielen herausragenden Publikationen waren die Kritiker davon überzeugt, dass nicht nur Vibrio fischeri und Vibro harveyi die Kunst der bakteriellen Kommunikation beherrschen, sondern wohl alle Bakterien", so Boehm weiter. Das hat nicht nur zu einem fundamentalen Perspektivenwechsel in der Bakteriologie geführt, sondern ebenso zu gänzlich neuen Ansätzen in der Antibiotika-Forschung".
Kurzbiographie Professor Dr. Bonnie L. Bassler Ph.D. (58)
Bonnie Bassler ist Mikrobiologin. Sie studierte an der University of California in Davis Biochemie und promovierte an der Johns Hopkins University in Baltimore. Dem Labor von Michael Silverman am Agouron Institute in La Jolla schloss sie sich 1990 als Postdoc an. Seit 1994 ist sie an der Princeton University. Bonnie Bassler ist Mitglied der National Academy of Sciences, der National Academy of Medicine und der Royal Society. Sie ist Forscherin am Howard Hughes Medical Institute sowie Inhaberin der Squibb-Professur und Leiterin des Instituts für Molekularbiologie an der Universität Princeton. Präsident Obama berief sie für sechs Jahre ins National Science Board der Vereinigten Staaten. Sie hat über zwanzig nationale und internationale Auszeichnungen erhalten.
Kurzbiographie Professor Michael R. Silverman, Ph.D. (77)
Michael Silverman ist ebenfalls Mikrobiologe. Er studierte Chemie und Bakteriologie an der University of Nebraska in Lincoln und promovierte 1972 an der University of California in San Diego. Zwischen 1972 und 1982 machte er entscheidende Entdeckungen zur Mobilität von Bakterien und zur Chemotaxis. Ab 1982 arbeitete er bis zu seinem Ruhestand am Agouron Institute in La Jolla, dessen Mitbegründer er ist.
Der Paul Ehrlich- und Ludwig Darmstaedter-Preis Der Paul Ehrlich- und Ludwig Darmstaedter-Preis wird traditionell an Paul Ehrlichs Geburtstag, dem 14. März, in der Frankfurter Paulskirche verliehen. Mit ihm werden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler geehrt, die sich auf den von Paul Ehrlich vertretenen Forschungsgebieten besondere Verdienste erworben haben, insbesondere in der Immunologie, der Krebsforschung, der Hämatologie, der Mikrobiologie und der Chemotherapie. Finanziert wird der seit 1952 verliehene Preis vom Bundesgesundheitsministerium, dem Land Hessen, dem Verband Forschender Arzneimittelhersteller e.V. und durch zweckgebundene Spenden folgender Unternehmen, Stiftungen und Einrichtungen: Else Kröner-Fresenius-Stiftung, Sanofi-Aventis Deutschland GmbH, C.H. Boehringer Ingelheim Pharma GmbH & Co. KG, Biotest AG, Hans und Wolfgang Schleussner-Stiftung, Fresenius SE & Co. KGaA, F. Hoffmann-LaRoche Ltd., Grünenthal GmbH, Janssen-Cilag GmbH, Merck KGaA, Bayer AG, Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck GmbH, AbbVie Deutschland GmbH & Co. KG, die Baden-Württembergische Bank, B. Metzler seel. Sohn & Co. und die Goethe-Universität. Die Preisträger werden vom Stiftungsrat der Paul Ehrlich-Stiftung ausgewählt. Eine Liste der Stiftungsratsmitglieder ist auf der Internetseite der Paul Ehrlich-Stiftung hinterlegt.
Die Paul Ehrlich-Stiftung
Die Paul Ehrlich-Stiftung ist eine rechtlich unselbstständige Stiftung, die treuhänderisch von der Vereinigung von Freunden und Förderern der Goethe-Universität verwaltet wird. Ehrenpräsidentin der 1929 von Hedwig Ehrlich eingerichteten Stiftung ist Professorin Dr. Katja Becker, Präsidentin der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die auch die gewählten Mitglieder des Stiftungsrates und des Kuratoriums beruft. Vorsitzender des Stiftungsrates der Paul Ehrlich-Stiftung ist Professor Dr. Thomas Boehm, Direktor am Max-Planck-Institut für Immunbiologie und Epigenetik in Freiburg, Vorsitzender des Kuratoriums ist Professor Dr. Jochen Maas, Geschäftsführer Forschung & Entwicklung, Sanofi-Aventis Deutschland GmbH. Prof. Dr. Wilhelm Bender ist in seiner Funktion als Vorsitzender der Vereinigung von Freunden und Förderern der Goethe-Universität zugleich Mitglied des Stiftungsrates der Paul Ehrlich-Stiftung. Der Präsident der Goethe-Universität ist in dieser Funktion zugleich Mitglied des Kuratoriums.
Weitere Informationen
Sämtliche Unterlagen der Pressemappe und Fotos der Preisträger sind unter http://www.paul-ehrlich-stiftung.de zur Verwendung hinterlegt. Der Abdruck ist kostenfrei. Die ausführlichen Lebensläufe, ausgewählte Veröffentlichungen und die Publikationsliste erhalten Sie von Dr. Hildegard Kaulen, Telefon: +49 (0) 6122/52718, E-Mail: h.k@kaulen-wissenschaft.de
Hintergrundinformation zur Verleihung des Paul Ehrlich- und Ludwig Darmstaedter-Preises 2021 an Professor Dr. Michael Silverman und Professorin Dr. Bonnie L. Bassler
Wir müssen reden
Auch Bakterien verständigen sich, belauschen andere Bakterien und einigen sich auf ein einheitliches Vorgehen, um gemeinsame Ziele zu erreichen. Selbst Viren und die Zellen ihrer Wirtsorganismen klinken sich in dieses allgegenwärtige bakterielle Palaver ein. Die genaue Kenntnis dieses vielstimmigen Chors birgt neue Möglichkeiten, gegen unerwünschte Bakterien durch Störung ihrer Absprachen vorzugehen.
Wie viele sind wir gerade? Gibt es außer unserer Art noch andere Arten vor Ort? Sind diese Arten gefährlich? Auch Bakterien wollen wissen, was um sie herum vor sich geht und ob es Sinn macht, ein gemeinschaftliches Verhalten an den Tag zu legen oder ob sie zuerst einmal nur zahlenmäßig zulegen sollten. Für diese Abfragen haben sie ein breites Potpourri an unterschiedlichen Sprach- und Übersetzungsmolekülen entwickelt, mit denen sie sich zuverlässig darüber informieren, was in ihrer Umgebung gerade vor sich geht. Der diesjährige Paul Ehrlich- und Ludwig Darmstaedter-Preis ehrt den Entdecker und die Entdeckerin der Sprachenvielfalt dieser bakteriellen Kommunikation: den Amerikaner Professor Michael R. Silverman Ph.D., Emeritus des Agouron Institute in La Jolla, und die Amerikanerin Professorin Bonnie L. Bassler Ph.D. von der Princeton University und dem Howard Hughes Medical Institute.
Bakterien arbeiten zusammen
Für die von den Preisträgern erforschte bakterielle Kommunikation wurde der Begriff Quorum Sensing" geprägt. Auch für Bakterien macht es Sinn, erst dann den Startschuss für ein gemeinsames Verhalten zu geben, wenn sie ein gewisses Quorum erreicht haben. Zu dem gemeinsamen Verhalten gehört zum Beispiel die Bildung eines Biofilms, in dem sich die Bakterien vor den Angriffen des Immunsystems und der Wirkung der Antibiotika schützen. Dazu gehört auch die Bildung von Toxinen, mit denen der Wirtsorganismus angegriffen werden kann. Für ein einzelnes Bakterium macht es keinen Sinn, einen Giftstoff zu produzieren. Dessen Wirkung würde nicht nur schnell verpuffen, sondern das Immunsystem des Wirtes wäre auch sofort alarmiert. Für den Wirt wäre es dann ein Leichtes, mit der ganzen Härte seines Immunsystems gegen ein einzelnes Bakterium vorgehen. Bei Billionen von Bakterien dagegen stößt auch ein intaktes Immunsystem an seine Grenzen.
Bis zur Entdeckung dieses Quorum Sensings betrachtete man Bakterien als Einzelkämpfer, deren Aufgabe im Wesentlichen darin besteht, sich zu teilen und zwei neue Bakterien hervorzubringen. Eine Kommunikation mit ihresgleichen, anderen Bakterien und Viren oder gar den Zellen des Wirtsorganismus schien undenkbar. Heute weiß man dank der Sprachforschung" von Silverman und Bassler, dass eine solche Kommunikation unter den Bakterien die Regel ist.
Am Anfang der Entdeckungen stand eine Beobachtung, die der Amerikaner Woody Hastings in den 1970er-Jahren bei einem ungewöhnlichen Bakterium gemacht hatte. Hastings hatte registriert, dass das Bakterium Vibrio fischeri leuchtet, wenn es bei der Anzucht in Kulturflaschen eine hohe Zelldichte erreicht hat. Sind nur wenige Bakterien in den Flaschen vorhanden, bleibt der Inhalt dunkel. Woher aber wusste" Vibrio fischeri, wann es zu leuchten hatte und wann nicht? Normalerweise lebt das Bakterium im Leuchtorgan eines winzigen Zwergtintenfischs. Nachts, wenn der Tintenfisch im flachen Meerwasser auf Beutezug geht, leuchten die Bakterien und sorgen dafür, dass der Zwergtintenfisch im Mondlicht keinen Schlagschatten wirft und damit für seine Fressfeinde unsichtbar bleibt. Tagsüber, wenn er sich im Sand versteckt hält, leuchtet er nicht mehr. Dann hat der Zwergtintenfisch sein Leuchtorgan mit Meerwasser gespült und den größten Teil der Bakterien ins Meer befördert. Die im Leuchtorgan verbliebenen Bakterien vermehren sich bis zum Einbruch der Dunkelheit wieder und leuchten, wenn sie ihr Quorum erreicht haben.
Silverman und JoAnne Engebrecht konnten durch genetische Experimente zeigen, dass Vibrio fischeri über das Erreichen des Quorums durch ein Molekül informiert wird, dass die Bakterien laufend in die Umgebung abgeben. Silverman und Engebrecht übertrugen die Fähigkeit, dieses Autoinducer-1-Molekül zu produzieren und wahrzunehmen, in ein anderes Bakterium und konnten damit beweisen, dass die Konzentration von Autoinducer-1 außerhalb der Bakterienzelle direkt mit der Zahl der anwesenden Bakterien korreliert. Je mehr Bakterien vorhanden sind, desto höher ist die Konzentration in der Umgebung. Wenn ein bestimmter Schwellenwert erreicht ist, machen die Moleküle kehrt und wandern zurück in die Bakterienzelle. Dort binden sie an einen Rezeptor, der dann das gruppenspezifische Verhalten einleitet. Im Falle von Vibrio fischeri ist das die Produktion von blau-grünem Licht zum Schutz des Zwergtintenfischs. Die Bakterien erhalten von ihm im Gegenzug Kost und Logis für einen Tag und eine Nacht.
Freund oder Feind?
Als Bonnie Bassler 1990 nach ihrer Promotion in das Labor von Silverman wechselte, sollte sie nachprüfen, ob ein enger Verwandte - das Bakterium Vibrio harveyi - ebenfalls über den bei Vibrio fischeri aufgefundenen Autoinducer kommuniziert. Alle Versuche, seine bakterielle Kommunikation über eine Blockade dieses Moleküls auszuschalten, scheiterten. Bassler erkannte schließlich, dass es ein zweites Quorum-Sensing-System geben musste, das auf der Produktion und Erkennung eines anderen Sprachmoleküls basiert. Zudem stellte sich heraus, dass dieses Autoinducer-2 genannte Signal von einer ganzen Vielzahl von Bakterien produziert wird. Bassler wies nach, dass Vibrio harveyi von diesem Molekül nicht über die Anwesenheit seiner Artgenossen informiert wird, sondern über die Anwesenheit anderer Bakterienarten. Bakterien leben nämlich normalerweise nicht in Reinkultur wie im Leuchtorgan des Tintenfischs, sondern in Gemeinschaften - etwa im Boden, im Darm oder auf der Haut. Deshalb wollen Bakterien auch wissen, welche anderen Arten vor Ort sind und wer in der Überzahl ist: sie selbst oder die anderen. Der Umstand, dass Bakterien nicht nur die Zahl ihrer Artgenossen registrieren, sondern auch die Anwesenheit anderer Bakterien, zeigt zudem, dass sie zwischen Fremd und Selbst unterscheiden können - eine Leistung, die wir vom Nerven- und Immunsystem her kennen.
Hohe medizinische Relevanz
Die Arbeiten von Silverman und Bassler haben ein neues Verständnis für die Ökologie mikrobieller Gemeinschaften geweckt. Anerkennung hat ihnen die Forschungsgemeinde dafür allerdings erst nach Jahrzehnten zäher Überzeugungsarbeit und nach vielen exzellenten Publikationen gezollt. Lange dachte man, dass Quorum Sensing nur eine Besonderheit zwischen Vibrio fischeri und dem Zwergtintenfisch sei und nichts mit dem Leben der anderen Bakterien zu tun habe - ein Nischenthema, mehr nicht. Heute weiß man, dass Quorum Sensing die Regel unter den Bakterien ist und dass es Hunderte verschiedener Systeme gibt, mit denen sie ihr Verhalten koordinieren. Auch das medizinische Potenzial steht außer Frage.
Wenn die bakterielle Kommunikation
Voraussetzung für die Bildung eines Biofilms oder eines Toxins ist, stellt die Unterbrechung dieser Kommunikation eine neuartige antibakterielle Strategie dar. Statt Antibiotika zu entwickeln, die Bakterien töten, können nun gezielt Substanzen entwickelt werden, die deren Absprachen durchkreuzen. Damit werden die beiden Laureaten nicht nur für ihre grundlegenden Entdeckungen zur Biologie der Bakterien geehrt, sondern auch für das ungeheure Anwendungspotenzial ihrer Forschung beim Kampf gegen resistente Keime. Will man beispielsweise nur eine einzige Art attackieren, muss das jeweilige Autoinducer-1-System gestört werden. Will man jedoch gegen viele verschiedene Bakterien gleichzeitig vorgehen, wäre das allgemein wirksame Autoinducer-2-System die geeignete Zielstruktur. Nach vielversprechenden Daten aus dem Labor von Bassler wird derzeit intensiv an diesen Konzepten gearbeitet, allerdings sind die evaluierten Substanzen noch nicht effektiv genug für eine klinische Nutzung und sie haben auch noch nicht alle Eigenschaften, die für ein verträgliches Medikament notwendig sind. Denkbar ist jedoch auch die umgekehrte Strategie: das Quorum Sensing könnte genutzt werden, um die Wirkung nützlicher Bakterien zu fördern, etwa im Darm oder auf der Haut.
Bonnie Bassler hat inzwischen auch gezeigt, dass sich die Umgebung der Bakterien ebenfalls in das Quorum Sensing einklinkt. 2017 entdeckte sie, dass der Schleim des menschlichen Darms von den Bakterien des Mikrobioms dazu benutzt wird, ein Sprachmolekül zu bilden, das krankmachende Bakterien auf Distanz hält. Damit verbündet sich der menschliche Darm über den abgegebenen Schleim mit seinen nützlichen Bakterien im Kampf gegen krankmachende Keime. Auch Bakteriophagen, also Viren, die Bakterien angreifen, nutzen die beim Quorum Sensing ausgetauschte Information, um den Zeitpunkt mit der höchsten Bakterien-Dichte in Erfahrung zu bringen. Infizieren sie die Bakterien, wenn deren Zellzahl am größten ist, sind auch ihre Chancen auf maximalen Phagen-Nachwuchs am größten. Das hat Bassler 2019 gezeigt. Somit steht die Forschung zur mikrobiellen Kommunikation erst am Anfang.
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Weitere Informationen
Alle Unterlagen der Pressemappe und ein Foto des Preisträgers und der Preisträgerin sind unter http://www.paul-ehrlich-stiftung.de zur Verwendung hinterlegt. Der Abdruck ist kostenfrei. Die ausführlichen Lebensläufe, ausgewählte Veröffentlichungen und die Publikationslisten erhalten Sie von Dr. Hildegard Kaulen, Telefon: +49 (0) 6122/52718, E-Mail: h.k@kaulen-wissenschaft.de