Fast fünf Milliarden Menschen weltweit beziehen ihre Nachrichten über soziale Medien. Die Auswirkungen von Fehlinformationen – insbesondere auf Wahlen – sind zunehmend besorgniserregend. Trotz umfangreicher Forschung ist weitgehend unklar, wer besonders anfällig für Fehlinformationen ist und warum. „Es gibt derzeit eine Flut an Forschung zu Fehlinformationen, aber bei der Menge an Arbeiten wird es zunehmend schwieriger, die Zusammenhänge zwischen verschiedenen Faktoren zu erkennen“, erklärt Hauptautor Mubashir Sultan. Der Doktorand am Forschungsbereich Adaptive Rationalität erforscht Fehlinformationen und Entscheidungsverhalten im Internet. Gemeinsam mit seinen Kolleg*innen führte er eine Metaanalyse mit Daten aus den USA durch, um zu untersuchen, wie Faktoren wie Bildung, Alter, Geschlecht, politische Identität, analytisches Denken, parteiische Verzerrung, motivierte Reflexion und Vertrautheit mit Nachrichten die Einschätzung von Online-Fehlinformationen beeinflussen.
Die Forschenden stellten fest, dass die Höhe des Bildungsabschlusses keinen signifikanten Einfluss auf die Fähigkeit hatte, zwischen wahren und falschen Informationen zu unterscheiden. Dies widerspricht der weit verbreiteten Annahme, dass höher gebildete Personen weniger anfällig für Fehlinformationen seien, insbesondere weil höhere Bildung kritisches Denken fördert. Die Studie hinterfragt auch Annahmen über das Alter und Fehlinformationen. Während ältere Erwachsene oft als anfälliger für Fake News dargestellt werden, zeigte die Analyse, dass sie tatsächlich besser als jüngere Erwachsene darin waren, wahre von falschen Schlagzeilen zu unterscheiden. Ältere Erwachsene waren zudem skeptischer und tendierten eher dazu, Schlagzeilen als falsch einzustufen. Paradoxerweise hat die bisherige Forschung jedoch wiederholt gezeigt, dass sich ältere Erwachsene häufiger mit Fehlinformationen beschäftigen und diese online teilen.
Auch die politische Identität spielte eine zentrale Rolle. Die Metaanalyse bestätigte frühere Studien, die zeigen, dass sich Republikaner häufiger von Fehlinformationen täuschen lassen als Demokraten. Republikaner waren weniger genau bei der Einschätzung der Glaubwürdigkeit von Nachrichten und neigten dazu, mehr Schlagzeilen als wahr einzustufen, während Demokraten skeptischer waren. Personen mit höheren analytischen Denkfähigkeiten – das heißt, die besser darin sind, Informationen logisch zu bewerten, Muster zu erkennen und Probleme systematisch zu lösen – schnitten insgesamt besser ab und waren skeptischer (sie tendierten dazu, Nachrichten als falsch zu klassifizieren). Menschen hielten Nachrichten, die ihrer politischen Identität entsprachen, eher für wahr und lehnten Nachrichten ab, die nicht mit ihrer politischen Identität übereinstimmten – ein Phänomen, das als parteiische Verzerrung bekannt ist. Ein kontraintuitiver Befund war jedoch, dass Personen mit höherem analytischem Denken stärker von parteiischer Verzerrung betroffen waren. Diese Tendenz ist als motivierte Reflexion bekannt, ein kognitiver Prozess, bei dem analytisches Denken gegen die eigene Urteilsfähigkeit arbeitet, um bestehende Überzeugungen, Werte oder politische Zugehörigkeiten zu schützen. Der stärkste Effekt in der Metaanalyse war der Einfluss der Vertrautheit. Wenn Teilnehmende angaben, eine Nachrichtenschlagzeile bereits gesehen zu haben, hielten sie diese eher für wahr. Dieses Ergebnis unterstreicht die Gefahr der wiederholten Exposition gegenüber Fehlinformationen, insbesondere in sozialen Medien.
Um die höchste Zuverlässigkeit zu gewährleisten, führten die Forschenden eine Metaanalyse mit individuellen Teilnehmenden-Daten durch – der Goldstandard auf diesem Gebiet. „Im Gegensatz zu traditionellen Metaanalysen, die nur Effektstärken aus früheren Studien betrachten, erlaubt dieser Ansatz die Arbeit mit individuellen Daten aus jeder Studie, wodurch die Analyse wesentlich aussagekräftiger wird“, erklärt Mubashir Sultan. Die Forschenden werteten Rohdaten aus 31 Experimenten aus, die in den USA zwischen 2006 und 2023 durchgeführt wurden. Sie analysierten 256.337 Entscheidungen von 11.561 Teilnehmenden im Alter von 18 bis 88 Jahren, um zu untersuchen, wie vier demografische Faktoren (Alter, Geschlecht, Bildung und politische Identität) und vier psychologische Faktoren (analytisches Denken, parteiische Verzerrung, motivierte Reflexion und Vertrautheit) die Einschätzung der Genauigkeit von Online-Informationen beeinflussen. Die Teilnehmenden bewerteten die Glaubwürdigkeit von Nachrichtenschlagzeilen zu Themen wie Politik und Gesundheit. Ein besonderer Fokus lag auf der Unterscheidung zwischen der Fähigkeit, wahre und falsche Nachrichten zu erkennen (Diskriminationsfähigkeit), und der Antwortverzerrung, die beschreibt, ob Teilnehmende Nachrichten generell als wahr oder falsch einstufen.
Die Ergebnisse kommen zu einem kritischen Zeitpunkt. „Der Global Risks Report 2024 des Weltwirtschaftsforums identifiziert Fehlinformationen als eines der größten Risiken für die Welt in den nächsten zwei Jahren. Angesichts des Aufstiegs des Rechtspopulismus sind die Ergebnisse der Studie hochrelevant und könnten Debatten darüber beeinflussen, wie Fehlinformationen in verschiedenen demografischen Gruppen am besten bekämpft werden können“, sagt Mitautor Ralf Kurvers, Senior Research Scientist am Forschungsbereich Adaptive Rationalität des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung.
„Die Ergebnisse unterstreichen die dringende Notwendigkeit, Medienkompetenz und kritisches Denken frühzeitig in die Schulcurricula zu integrieren. Jüngere Erwachsene, die als ‚Digital Natives‘ gelten, waren weniger in der Lage, zwischen wahren und falschen Nachrichten zu unterscheiden,“ fährt Ralf Kurvers fort. Daher sind effektivere und altersgerechte Programme zur Förderung der Medienkompetenz für diese Gruppe entscheidend. Darüber hinaus müssen Interventionen, die Menschen dabei helfen sollen, Fehlinformationen zu identifizieren und weniger zu verbreiten, die starken Effekte von Vertrautheit und politischer Voreingenommenheit berücksichtigen – insbesondere in sozialen Medien, wo diese Effekte verstärkt auftreten. Effektive Maßnahmen könnten beispielsweise Gemeinsamkeiten betonen und einen respektvollen Dialog über politische Grenzen hinweg fördern.
Diese Studie ist Teil einer größeren Initiative des Forschungsbereichs Adaptive Rationalität, die die Dynamik digitaler Umgebungen untersucht. Die Forschenden wollen ein umfassendes Verständnis darüber gewinnen, wie diese digitalen Räume politisch relevantes Verhalten und Einstellungen beeinflussen, und gleichzeitig eine strategische Roadmap zur Bewältigung der damit verbundenen Herausforderungen entwickeln. Ein Forschungsteam unter der Leitung des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung hat kürzlich eine Toolbox vorgestellt, die Einzelpersonen dabei helfen soll, Fehlinformationen effektiver zu bekämpfen.
In Kürze:
- Die Metaanalyse untersucht 31 US-Studien, um zu bestimmen, wie zentrale demografische und psychologische Faktoren die Anfälligkeit für Fehlinformationen beeinflussen.
- Ältere Erwachsene, Demokraten und Personen mit höheren analytischen Denkfähigkeiten können wahre und falsche Nachrichten besser unterscheiden.
- Vertrautheit und parteiische Verzerrung erhöhen die Tendenz, Nachrichten als wahr einzustufen.
- Personen mit höheren analytischen Denkfähigkeiten zeigen eine stärkere parteiische Verzerrung (motivierte Reflexion).
- Die Ergebnisse liefern wichtige Erkenntnisse für die Theoriebildung und die Entwicklung von Interventionsstrategien.
Journal
Proceedings of the National Academy of Sciences
Method of Research
Meta-analysis
Subject of Research
People
Article Title
Susceptibility to online misinformation: A systematic meta-analysis of demographic and psychological factors
Article Publication Date
12-Nov-2024