FRANKFURT. Mehr als 10.000 Menschen haben sich in Deutschland im vergangenen Jahr das Leben genommen, mehr als dreimal so viele wie durch Verkehrsunfälle verstorben sind. Die Zahl der versuchten Selbsttötungen (Suizide) liegt um ein vielfaches höher; betroffen sind Menschen aller Altersgruppen. Welche Faktoren zu Suiziden und deren Prävention beitragen, ist Gegenstand der Suizidologie. Diesem wichtigen Fachgebiet wird in Frankfurt nun eine ganz besondere Aufmerksamkeit zuteil: Seit Monatsbeginn gibt es am Fachbereich Medizin der Goethe-Universität die deutschlandweit erste Professur für Suizidologie und Suizidprävention.
Auf diese Position berufen wurde Prof. Dr. Ute Lewitzka, Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention, die seit mehr als 25 Jahren auf dem Gebiet forscht und arbeitet. „Ich freue mich sehr, dass die Suizidologie – die leider immer noch ein Nischenthema ist – diesen Stellenwert gewinnt“, sagt Lewitzka, die vom Dresdner Universitätsklinikum nach Frankfurt wechselt. Eine Professur sei auch ein Türöffner für die weitere Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen. Zu ihren Zielen gehört unter anderem, Suizidversuche und Suizide systematisch zu erfassen und zu analysieren, um effektive präventive Maßnahmen weiter zu entwickeln und diese auch politisch durchsetzen zu können.
Die Professur ist an der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie unter der Direktion von Prof. Dr. Andreas Reif am Universitätsklinikum Frankfurt angesiedelt, die bereits seit vielen Jahren auf die Behandlung von Stimmungserkrankungen (z.B. Depressionen) spezialisiert ist. Ziel ist der Aufbau eines Deutschen Zentrums für Suizidprävention, an dem auch die Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Suizidprävention und die European Alliance against Depression beteiligt sind. Bereits jetzt besteht ein enges regionales Netzwerk unterschiedlicher Akteure, die nicht nur die Erforschung und Behandlung von Suizidalität vorantreiben, sondern beispielsweise auch Präventionsarbeit an Schulen leisten. Auch die Fort- und Weiterbildung von Fachpersonal soll neben der Forschung eine zentrale Rolle spielen.
Gefördert wird das Vorhaben über die nächsten fünf Jahre von der Crespo Foundation, der Henryk-Sznap-Stiftung und der Dr. Elmar und Ellis Reiss Stiftung, wobei letztere den Großteil der Fördersumme beiträgt. Für Dr. Elmar Reiss, der die Stiftung 2018 zusammen mit seiner Frau gegründet hat, sind die Ziele der Professur eng mit denen der Stiftung verknüpft: „Unser größtes Anliegen bei der Gründung war es, depressiven Menschen zu helfen und ihr Leid zu lindern. Depressionen gehören zu den Erkrankungen, die zu einem erhöhten Suizidrisiko führen können. Unsere Stiftung möchte dazu beitragen, dass die betroffenen Menschen andere Wege finden und wieder das Licht am Ende des Tunnels sehen.“
Ausschlaggebend für die Entwicklung erfolgreicher Präventionsmaßnahmen ist eine umfassende Datengrundlage. In einem sächsischen Pilotprojekt konnte Lewitzka bereits zeigen, dass die zeitnahe Erfassung und Auswertung von Suizidversuchen über speziell geschulte Notrufleitstellen die Erstellung von sogenannten Heatmaps ermöglicht, also visuellen Darstellungen von Orten und Häufigkeiten. Gepaart mit einem gezielten Monitoring der gewählten Suizid(versuchs)-Methoden lassen sich viele Suizide vermeiden. So können häufig gewählte Wege der Selbsttötung reguliert werden, wie – um nur ein Beispiel zu nennen – der Zugang zu bestimmten Bauwerken. „Methodenrestriktion ist eine der effektivsten Präventionsmaßnahmen“, so Lewitzka.
Prof. Dr. med. Ute Lewitzka, Jahrgang 1972, studierte Humanmedizin in Berlin und Dresden und absolvierte am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden ihre Ausbildung zur Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie. Sowohl in ihrer Promotion im Jahr 2004 und ihrer Habilitation im Jahr 2018 befasste sie sich mit der Suizidologie. Im Jahr 2017 gründete sie das Werner-Felber-Institut für Suizidprävention und interdisziplinäre Forschung im Gesundheitswesen (WFI), dessen Vorstandsvorsitzende sie heute noch ist. Seit 2018 ist sie ehrenamtliche Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention (DGS) und des Referats Suizidologie der Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e. V. (DGPPN).
Hilfsangebote für Betroffene und ihre Angehörigen:
Frankfurter Netzwerk für Suizidprävention (FRANS) https://frans-hilft.de/
TelefonSeelsorge: 1110111, https://www.telefonseelsorge.de/
Nummer gegen Kummer (für Kinder und Jugendliche): 116111, https://www.nummergegenkummer.de/