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Der Embryo baut sich selbst zusammen

Ein neuer mathematischer Ansatz zeigt wie Zellen kommunizieren, damit ein Embryo entsteht

Peer-Reviewed Publication

Institute of Science and Technology Austria

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NOMIS-ISTA Fellow David Brückner at the Institute of Science and Technology Austria (ISTA)

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Credit: © ISTA

Biologische Prozesse ähneln Puzzles, bei denen sich Teile zusammenfügen und interagieren. Unter bestimmten Umständen können sie ohne externen Input etwas Neues schaffen. Dies wird als Selbstorganisation bezeichnet und lässt sich bei Fisch- oder Vogelschwärmen beobachten. Der Säugetierembryo entwickelt sich auf ähnliche Weise. In PNAS präsentieren David Brückner und Gašper Tkačik vom Institute of Science and Technology Austria (ISTA) einen mathematischen Ansatz, der die Selbstorganisation von einer einzelnen Zelle bis zu einem mehrzelligen Organismus analysiert.

Wenn sich ein Embryo entwickelt, entstehen viele verschiedene Zellarten mit unterschiedlichen Funktionen. Einige Zellen werden Teil des Auges und nehmen visuelle Reize auf, andere werden Teil des Darms und helfen bei der Verdauung der Nahrung. Um ihre Aufgaben zu bestimmen, kommunizieren die Zellen kontinuierlich über chemische Signale miteinander.  

Diese enge Kommunikation ist enorm wichtig. Durch sie ist alles gut synchronisiert und koordiniert. Man könnte glauben, es gibt eine Zentrale, die diese Vorgänge steuert. Tatsächlich ist die Zellansammlung selbstorganisiert und wird durch die Interaktionen zwischen den einzelnen Elementen orchestriert. Jede Zelle reagiert auf die Signale ihrer Nachbarinnen. Durch diese Selbstorganisation entwickelt sich der Säugetierembryo von einer einzelnen befruchteten Eizelle zu einem vielzelligen Organismus.  

David Brückner und Gašper Tkačik vom Institute of Science and Technology Austria (ISTA) haben nun einen mathematischen Ansatz entwickelt, der es ihnen ermöglicht, diesen Prozess zu analysieren und seine optimalen Parameter vorherzusagen. Das in PNAS veröffentlichte Konzept stellt eine einheitliche mathematische Sprache dar, um die biologische Selbstorganisation in der Embryonalentwicklung und darüber hinaus zu beschreiben.

Der selbstorganisierende Embryo
In der Natur kommt Selbstorganisation häufig vor. So zum Beispiel in den erwähnten Fisch- und Vogelschwärmen oder Insektenkollektiven, aber auch in mikroskopischen Prozessen, die von Zellen gesteuert werden. NOMIS-Fellow und ISTA Postdoc David Brückner beschäftigt sich damit, diese Vorgänge von einem theoretischen Standpunkt aus zu verstehen. Sein Schwerpunkt liegt dabei auf der Embryonalentwicklung – einem komplexen Prozess, der von Genen und Zellen, die miteinander kommunizieren, gesteuert wird.

Im Rahmen der Embryonalentwicklung entwickelt sich eine einzige befruchtete Zelle in einen vielzelligen Embryo, der Organe mit vielen verschiedenen Merkmalen besitzt. „Bei vielen Schritten in diesem Entwicklungsprozess hat das System kein externes Signal, das ihm sagt, was es tun soll. Vielmehr gibt es eine intrinsische Komponente, die es dem System ermöglicht, Muster und Strukturen zu erzeugen“, so Brückner. „Diese intrinsische Eigenschaft wird als Selbstorganisation bezeichnet.“ Selbst bei unvorhersehbaren Faktoren – Physiker:innen nennen es „Rauschen“ (aus dem englischen „noise“) – bilden sich die embryonalen Muster zuverlässig und konstant. In den letzten Jahren haben Wissenschafter:innen immer mehr über die molekularen Details, die diesen komplexen Prozess steuern, herausgefunden. Einen mathematischen Ansatz, mit dem man dessen Leistung analysieren und quantifizieren kann, gab es aber bis jetzt noch nicht. Die Sprache der Informationstheorie liefert nun Antworten.

Know-how verbinden
„Die Informationstheorie ist eine universelle Sprache, um Strukturen und Regelmäßigkeiten in statistischen Ensembles zu quantifizieren – also eine Reihe von Wiederholungen desselben Prozesses. Die Embryonalentwicklung kann als ein solcher Prozess angesehen werden, der reproduzierbar funktionelle Organismen hervorbringt, die sich sehr ähnlich, aber nicht identisch sind“, erklärt Gašper Tkačik, Professor am ISTA und Experte in diesem Gebiet. Seit langem untersucht Tkačik wie Informationen in biologischen Systemen verarbeitet werden. So auch im Fliegenembryo. „Im Frühstadium des Fliegenembryos sind die Muster nicht selbstorganisiert“, fährt er fort. „Die Mutterfliege verabreicht dem Ei Chemikalien, die den Zellen Anweisungen geben, was sie tun sollen.“ Da die Tkačik Gruppe bereits einen mathematischen Ansatz für dieses System entwickelt hatte, wandte sich Brückner an sie, um einen solchen auch für den Säugetierembryo zu entwickeln. „Mit Gašpers Expertise im Bereich der Informationstheorie gelang es uns, dies umzusetzen“, fügt Brückner begeistert hinzu.

Über die Embryoentwicklung hinaus
Während der Embryonalentwicklung tauschen Zellen Signale aus und sind ständig zufälligen, unvorhersehbaren Schwankungen (Rauschen oder noise) ausgesetzt. Die zellulären Interaktionen müssen trotzdem beständig sein. Der neue Ansatz beschreibt, wie diese Interaktionen optimiert werden können, um dem Rauschen standzuhalten. Computersimulationen von interagierenden Zellen zeigten den Forschenden die Bedingungen, unter denen ein System trotz der Einführung von Schwankungen immer noch ein stabiles Endergebnis erzielen kann.

Drei unterschiedliche Entwicklungsmodelle, die alle auf chemischen und mechanischen Signalen beruhen, konnten mit dem neuen Ansatz schon beschrieben werden. Es sind jedoch weitere Schritte erforderlich, um ihn auf experimentelle Untersuchungen von Entwicklungssystemen anzuwenden. „In Zukunft wollen wir komplexere Modelle mit mehr Parametern und Dimensionen untersuchen“, meint Tkačik. „Durch die Quantifizierung noch komplexerer Modelle könnten wir unseren Ansatz auch auf experimentell gemessene Muster chemischer Signale in sich entwickelnden Embryonen anwenden“, ergänzt Brückner. Zu diesem Zweck werden sich die beiden Theoretiker mit Experimentalwissenschafter:innen zusammenschließen.

 


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