Entropie wird oft mit Unordnung und Chaos in Verbindung gebracht. Dabei steht die Entropie, die eng mit unserem Begriff von Wärme verwandt ist, in der Biologie im Zusammenhang mit chemischen Reaktionen, die uns am Leben halten: dem Stoffwechsel und dem Energietransport. Ein internationales Forschungsteam unter der Leitung der Universitäten Barcelona und Padua und mit Beteiligung der Universität Göttingen sowie der Universitäten Complutense und Francisco de Vitoria in Madrid hat eine Methode entwickelt, mit der sich die Erzeugung von Entropie im Nanometerbereich, das heißt auf einem Milliardstel Meter genau, messen lässt. So konnten die Forschenden erstmals den Wärmefluss, die sogenannte Entropieproduktionsrate, einzelner roter Blutzellen ermitteln. Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift Science veröffentlicht.
Um den Wärmefluss in den roten Blutzellen zu messen, beobachteten die Forschenden, wie deren Membran ständig fluktuiert, was sich im Mikroskop als „Zappeln“ der Zellen beobachten lässt. Aus diesen Bewegungen schlossen sie auf eine zunehmende Entropie innerhalb der Blutzellen. Ihren Ansatz prüften die Forschenden mit komplexeren theoretischen und experimentellen Methoden. Hierbei klebten sie mikrometerkleine Partikel auf die Membran, die deren Veränderungen erfassten. Mit einem stark konzentrierten Laser, der eine sogenannte optischen Falle für die Partikel erzeugt, konnten minimalste Kräfte auf die Membran ausgeübt werden. Derartige kolloidalen Partikel – kleine feste Teilchen, die in einer Flüssigkeit verteilt sind – sind ein bewährtes Mittel, um die Bewegungen der Membran lebender Zellen zu messen und zu manipulieren. Die Forschenden nutzten zudem experimentelle Ansätze, die auf lichtgesteuerter Messung und ultraschneller Live-Imaging-Mikroskopie basieren. Dazu trugen Forschende der Universität Göttingen bei: „Wir haben ein Experiment entwickelt, in dem wir rote Blutzellen mit Photonen, also Licht, so sanft halten, dass der empfindliche Wärmefluss durch das Licht nicht gestört wird, wir aber gleichzeitig stark genug sind, dass wir die Auswirkungen des Wärmeflusses messen können“, erklärt Prof. Dr. Timo Betz vom Institut für Biophysik.
„Wärme ist ein Symptom für die Gesundheit von Zellen. Unsere neuartige Methode könnte neue Wege eröffnen, um die Gesundheit von Geweben zu bestimmen“, sagt der Leiter der Studie Prof. Dr. Felix Ritort von der Universität Barcelona. Er fügt hinzu: „Die Erzeugung von Entropie in lebenden Systemen zu beschreiben ist entscheidend, um zu verstehen, wie effizient die Prozesse der Energieumwandlung sind.“
Die Messung der Entropieproduktion in biologischen und physikalischen Systemen ist von großem Interesse, denn sie ist relevant für die Effizienz und Verlässlichkeit vieler anderer Systeme, etwa sogenannter molekularer Motoren. „Dieser Durchbruch hat weitreichende Implikationen für unser Verständnis vom Stoffwechsel und Energietransport in lebenden Systemen“, so Betz. „Darüber hinaus können unsere Erkenntnisse nützlich für Anwendungen in der Gesundheitsversorgung und Medizin sein. Und sie können wegweisend sein für die Entwicklung neuer intelligenter Materialien, die mit einer kontrollierten Entropieproduktionsrate auf kleine Reize von außen reagieren und sich zum Beispiel verflüssigen oder verfestigen, wenn nötig.“
Originalveröffentlichung: Di Terlizzi et al. Variance sum rule for entropy production. Science (2024). DOI: 10.1126/science.adh1823
Kontakt:
Prof. Dr. Timo Betz
Georg-August-Universität Göttingen
Fakultät für Physik
Drittes Physikalisches Institut – Biophysik
Friedrich-Hund-Platz 1, 37077 Göttingen
Telefon: 0551 39-26921
E-Mail: timo.betz@phys.uni-goettingen.de
Internet: www.betzlab.uni-goettingen.de
Journal
Science
Method of Research
Experimental study
Subject of Research
Not applicable
Article Title
Variance Sum Rule for Entropy Production
Article Publication Date
29-Feb-2024