News Release

Mathematik und soziale Dilemmas

ISTA-Wissenschafter:innen präsentieren neues mathematisches Kooperationsmodell

Peer-Reviewed Publication

Institute of Science and Technology Austria

image: 

Krishnendu Chatterjee (left) and Valentin Hübner (right) at the Institute of Science and Technology Austria (ISTA). Curiosity, elegant models, and new analytical techniques drive the scientists’ research.

view more 

Credit: © ISTA

Das Miteinander von Menschen hängt stark von ihrer Zusammenarbeit ab. Individuen haben nicht immer die gleichen Motivationen und Beweggründe, etwas zum Gemeinwohl beizutragen. Sogenannte soziale Dilemmas sind damit vorprogrammiert. Wissenschafter:innen der Chatterjee Gruppe am Institute of Science and Technology Austria (ISTA) stellen nun ein neues mathematisches Prinzip vor, das hilft, die Kooperation von Individuen mit unterschiedlichen Eigenschaften zu erklären. Die in der Fachzeitschrift PNAS veröffentlichten Ergebnisse lassen sich auf Wirtschafts- und Verhaltensstudien anwenden.

Eine Gruppe von Nachbarn teilt sich eine Einfahrt. Nach einem Wintereinbruch ist diese aber mit Schnee bedeckt und muss geräumt werden. Die Nachbarn sind aufeinander angewiesen. Wenn sie alle ihre Daunenjacken anziehen, sich Schneeschaufeln schnappen und anfangen zu arbeiten, wird die Straße in kürzester Zeit frei sein. Ergreift nur eine:r oder nur ein Teil von ihnen die Initiative, wird die Aufgabe zeit- und arbeitsaufwändiger. Macht sich niemand an die Arbeit, wird die Einfahrt zugeschneit bleiben. Wie können die Nachbarn dieses Dilemma meistern und im gemeinsamen Interesse zusammenarbeiten?

Die Wissenschafter:innen der Chatterjee Gruppe am Institute of Science and Technology Austria (ISTA) beschäftigen sich laufend mit Fragen der Kooperation wie dieser. Sie verwenden Spieltheorie, um die mathematischen Grundlagen für die Entscheidungsfindung in solchen sozialen Zwickmühlen zu schaffen. Die aktuellste Veröffentlichung der Gruppe befasst sich mit den Interaktionen zwischen unterschiedlichen Individuen in einem Öffentliche-Güter-Spiel. Das neue Modell, welches in der Fachzeitschrift PNAS veröffentlicht wurde, untersucht, wie Ressourcen für das beste Gesamtwohl verteilt werden sollten und wie die Zusammenarbeit aufrechterhalten werden kann.

Das Spiel der öffentlichen Güter

Seit Jahrzehnten ist das Öffentliche-Güter-Spiel eine bewährte Methode zur Modellierung sozialer Konflikte. In diesen Szenarien entscheiden die Teilnehmer:innen, wie viel von ihren eigenen Ressourcen sie zum Nutzen der gesamten Gruppe beitragen wollen. Die meisten bisherigen Studien gingen von homogenen Individuen aus – das heißt, sie nahmen an, dass diese sich in ihren Motivationen und anderen Eigenschaften nicht unterscheiden. „In der realen Welt ist das aber nicht immer der Fall“, erklärt Krishnendu Chatterjee. Aus diesem Grund haben PhD-Student Valentin Hübner und die ehemaligen Mitglieder der Chatterjee Gruppe, Christian Hilbe und Maria Kleshina, damit begonnen, Szenarien mit tatsächlich unterschiedlichen Personen zu modellieren. Eine im Jahr 2019 veröffentlichte Analyse sozialer Dilemmas unter Ungleichen stellte die Grundlage für ihr neues Modell dar, welches nun auch Interaktionen zwischen mehreren Spielern ermöglicht.

„In unserem Spiel kann das öffentliche Gut ein beliebiges Anliegen sein, wie zum Beispiel der Umweltschutz oder der Kampf gegen den Klimawandel, zu dem jede:r beitragen kann“, erklärt Hübner. Im Allgemeinen haben Spieler:innen unterschiedliche Fähigkeiten, die im Öffentliche-Güter-Spiel als Produktivität bezeichnet werden.  „Es sind die Fähigkeiten, einen Beitrag zu einer bestimmten Aufgabe zu leisten“, so Hübner weiter. Ressourcen, im Fachjargon Ausstattung („endowment“) oder Besitz („wealth“) genannt, beziehen sich dagegen auf die tatsächlichen Dinge, die die Teilnehmer zum Gemeinwohl beitragen.

In dem Szenario mit der verschneiten Einfahrt unterscheiden sich die Nachbarn erheblich in ihren verfügbaren Ressourcen und in ihren Fähigkeiten, diese zu nutzen. Um das Problem zu lösen, müssen sie zusammenarbeiten. Aber welche Rolle spielt ihre Ungleichheit in einem solchen Entscheidungsdilemma?

Die zwei Seiten der Ungleichheit

Das neue Modell von Hübner liefert nun Antworten auf diese Frage. Demnach ist eine gleichmäßigere Verteilung der Ressourcen erforderlich, damit unterschiedliche Individuen die Zusammenarbeit aufrechterhalten können. Überraschenderweise führt mehr Ausgeglichenheit aber nicht zu einem bestmöglichen Gemeinwohl. Um dies zu erreichen, sollten die Ressourcen an besser ausgestattete Personen verteilt werden, was zu einer leicht ungleichen Verteilung führt.

„Die Effizienz profitiert von einer ungleichen Ausstattung, während die Robustheit immer von einer gleichmäßigen Ausstattung profitiert“, erklärt Hübner. Das heißt, zur Bewältigung einer Aufgabe sollten die Ressourcen nahezu gleichmäßig verteilt sein. Wenn jedoch Effizienz das Ziel ist, sollten die Ressourcen in den Händen derjenigen liegen, die bereit sind, sich stärker zu beteiligen – aber nur bis zu einem gewissen Grad.

Was ist nun wichtiger, eine effiziente oder stabile Zusammenarbeit? Weitere Lernprozess-Simulationen der Wissenschafter:innen legen nahe, dass Individuen zwischen diesen beiden Aspekten abwägen. Ob dies auch in der realen Welt der Fall ist, bleibt abzuwarten. Zahlreiche zwischenmenschliche Nuancen, wie z.B. Reziprozität, Moral und ethische Fragen, tragen ebenfalls zu dieser Dynamik bei.

Das Modell von Hübner konzentriert sich ausschließlich auf die Kooperation aus mathematischer Sicht. Aufgrund seiner Allgemeingültigkeit kann es jedoch auf jedes soziale Dilemma mit diversen Individuen angewandt werden, wie eben auf den Klimawandel. Die Übertragung des Modells in die reale Welt sowie die Anwendung auf die Gesellschaft sind äußerst attraktive experimentelle Ansätze. „Ich bin mir durchaus sicher, dass es in der Zukunft Verhaltensexperimente geben wird, die von unserer Arbeit profitieren“, so Chatterjee. Das Modell könnte auch für die Wirtschaftswissenschaften interessant sein; insbesondere könnten seine Grundsätze dazu beitragen, Wirtschaftssysteme und politische Entscheidungen besser zu gestalten.

 


Disclaimer: AAAS and EurekAlert! are not responsible for the accuracy of news releases posted to EurekAlert! by contributing institutions or for the use of any information through the EurekAlert system.