Pune/Leipzig. Eine Verringerung der Luftverschmutzung auf ein Maß wie zu Zeiten der Corona-Pandemie könnte die Gletscher im Himalaya schützen und vor dem Verschwinden bis Ende des Jahrhunderts bewahren. Zu diesem Ergebnis kommt ein internationales Forschungsteam durch eine Analyse der Situation während des COVID-19-Lockdown 2020. Die sauberere Luft habe dafür gesorgt, dass sich weniger Ruß auf den Gletschern abgelagert hat und so pro Tag 0,5 bis 1,5 mm weniger Schnee geschmolzen ist. Der rasche Rückzug der Gletscher und der Verlust der Schneedecke stellen bereits jetzt eine Bedrohung für die nachhaltige Wasserversorgung von Milliarden von Menschen in Asien dar, die im Einzugsgebiet von Flüssen wie Indus, Ganges oder Jangtsekiang leben. Wenn es gelingen würde, die Emissionen von Luftschadstoffen wie Ruß zumindest auf das Niveau der Lockdowns zu reduzieren, könnte die Schneeschmelze um bis zur Hälfte verringert werden. Ein Umstieg auf saubere Energieversorgung und emissionsärmere Verkehrsmittel würde daher erhebliche Vorteile für eine nachhaltige Wasserversorgung, die Landwirtschaft und die Ökosysteme in weiten Teilen Asiens mit sich bringen, schreiben die Forschenden im Fachjournal Atmospheric Chemistry and Physics (ACP).
Die Gebirge des Hindukusch-Himalaya (HKH) und das Hochland von Tibet in Zentralasien bilden die größte schneebedeckte Region außerhalb der Pole. Das Schmelzwasser dieser Gletscher speist Flüsse in Indien und China, die die Landwirtschaft, die Wasserkrafterzeugung und die Wirtschaft dieser Länder antreiben. Die Himalaya-Schneeschmelze im Frühjahr liefert rund die Hälfte des jährlichen Süßwassers für rund 4 Milliarden Menschen in Südasien und Ostasien. Doch die Ressourcen schwinden: Die globale Erwärmung hat bereits zu einem Verlust von etwa 40 Prozent der Gletscherfläche des Himalayas im Vergleich zur Kleinen Eiszeit im Mittelalter geführt. Auch die Schneemasse hat dort in den letzten 30 Jahren - mit Ausnahme einiger Karakorum-Gletscher - stark abgenommen. Modellsimulationen für extreme Szenarien zeigen, dass die Schneeschmelze im Himalaya die Gletscher dort bis zum Ende des 21. Jahrhunderts verschwinden lassen könnte. Das sind beunruhigende Nachrichten für die Wasserversorgung von mehreren Milliarden Menschen.
Dass die Gletscher immer dünner werden, liegt zum einen am Klimawandel mit höheren Lufttemperaturen und veränderten Niederschlägen – also an langfristigen Ursachen, deren Bekämpfung noch Jahrzehnte in Anspruch nehmen wird. Zur Gletscherschmelze tragen aber auch kurzfristige Faktoren stark bei wie die Verteilung und Ablagerung von lichtabsorbierenden Partikeln wie Staub und Ruß (schwarzer Kohlenstoff (BC)). Frühere Studien konnten bereits zeigen, dass Ruß den Schnee auf den Gletschern stärker schmelzen lässt als die Treibhausgase in der Atmosphäre. Der steigende Energiebedarf des dicht besiedelten Südasiens hat die Emissionen von Treibhausgasen und Rußpartikeln in den letzten Jahrzehnten stark erhöht, was zu einer verstärkten Verdunkelung und Schneeschmelze führt.
Die Konjunkturabschwächung durch die Lockdown-Maßnahmen während der Corona-Pandemie sorgte 2020 in dieser Region für einem drastischen Rückgang beim Personen- und Gütertransport, den Industrieemissionen und dem Energieverbrauch. In der Folge ging auch die Luftverschmutzung mit Treibhausgasen und vor allem mit Ruß deutlich zurück: Satellitenbeobachtungen zeigten einen saubereren Schnee mit fast einem Drittel weniger lichtabsorbierenden Verunreinigungen während des Lockdowns in Asien zwischen März und Mai 2020. Das führte 2020 zu einem Rückgang der Schneeschmelze um 25 bis 70 mm – verglichen mit dem 20-jährigen Mittel für die Monate März bis Mai im westlichen Himalaya. Die Veränderungen der Schneeabsorption und der Oberflächenalbedo sorgten so dafür, dass etwa 7 Kubikkilometer Schmelzwasser im Indus-Einzugsgebiet verblieben.
Für eine detaillierte Analyse der Auswirkungen einer geringeren Luftverschmutzung über Hochgebirgen Zentralasiens während der COVID-19-Lockdowns zwischen März und Mai 2020 verwendete das internationale Team von Forschenden aus Indien, Deutschland und Großbritannien globale Simulationen: Dazu nutzen sie das Chemie-Klima-Modell ECHAM6-HAMMOZ, das mit einer verbesserten Ruß-Schnee-Parametrisierung aktualisiert wurde, um die Corona-Zeit mit den typischen Luftverschmutzungsbedingungen zu vergleichen. Die Corona-Simulationen wurden mit einem COVID-19-Emissionsinventar durchgeführt, bei dem die Emissionen auf der Grundlage von Google- und Apple-Mobilitätsdaten berechnet wurden. Außerdem gingen verschiedene Beobachtungsdaten in die neue Studie ein: Die Schneebedeckung und die Trübung der Atmosphäre wurde mit MODIS-Spektraldaten der NASA bestimmt. Ergänzt wurden diese Daten durch Sonnenphotometer-Messungen von zwei Stationen des Aerosol Robotic Network (AERONET) in Lahore (Pakistan) und Duschanbe (Tajikistan). Die AERONET-Messungen in Duschanbe waren 2014 bis 2016 Teil des deutsch-tadschikischen Gemeinschaftsprojekts CADEX, bei dem die Akademie der Wissenschaften von Tadschikistan und TROPOS gemeinsam Mineralstaub über Zentralasien untersucht haben.
Die ECHAM6-HAMMOZ-Modellsimulationen zeigen, dass der COVID-Lockdown im Frühjahr 2020 zu einer saubereren Atmosphäre über den Gebirgen des Hindukusch-Himalaya und dem Hochland von Tibet geführt haben. „Die optische Aerosoldicke (AOD), also die Trübung der Atmosphäre, über dieser Region ist im April 2020 im Vergleich zur Zeit vor der Pandemie um rund 10 Prozent gesunken. Dies wird durch die Messungen des Moderate Resolution Imaging Spectroradiometer (MODIS) der NASA gestützt, die ebenfalls eine Verringerung der AOD im Vergleich zum Mittelwert der letzten 20 Jahre zeigen“, berichtet Dr. Suvarna Fadnavis vom Indian Institute of Tropical Meteorology (IITM). Der Rückgang an Ruß wurde auch bei den bodengestützten Messungen des Aerosol Radiative Forcing Over India Network (ARFINET) beobachtet: über der indischen Ganges-Ebene (>50 %), Nordost-Indien (>30 %), den Himalaya-Regionen (16 %-60 %) und Tibet (70 %).
Die Verringerung der anthropogenen Luftverschmutzung führte in weiten Teilen der Hochgebirge Zentralasiens dazu, dass sich auch weniger Ruß auf dem Schnee ablagerte. Laut dieser Studie waren es im Frühjahr 2020 etwa 25 bis 350 Mikrogramm Ruß pro Kilogramm Schnee weniger, was bis zu einem Drittel der Ruß-Konzentration im Schnee dort entspricht. Sporadisch sind die Ruß-Konzentrationen im Schnee laut Modell jedoch auch in einigen Gebieten am Hindukusch, im östlichen Himalaya und im Kunlun-Gebirge gestiegen. Die scheinbar paradoxen Unterschiede sind darauf zurückzuführen, dass der Ruß nicht nur an der Oberfläche, sondern vor allem in der Atmosphäre mit der Sonnenstrahlung wechselwirkt. Dadurch kommt es zu komplexen Anpassungen der atmosphärischen Zirkulation und somit zu Änderungen des Transports und Ablagerung der Luftschadstoffe. „Unsere Simulationen zeigen, dass der Rückgang der Ruß-Konzentration im Schnee und die allgemeine Verringerung der Luftverschmutzung sowie die damit verbundenen Strahlungseffekte den kurzwelligen Strahlungsantrieb an der Oberfläche im März bis Mai 2020 um bis zu 2 Watt pro Quadratmeter verringerten, was zu einer geringeren atmosphärischen Erwärmung führte. Diese geringere Erwärmung der Schneedecke und der troposphärischen Säule ist der kombinierte Effekt von weniger Ruß im Schnee und der Veränderungen der atmosphärischen Konzentrationen von Sulfat und Ruß“, erklärt Dr. Bernd Heinold vom TROPOS. „Im Modell konnten wir zeigen, dass der Rückgang der Luftverschmutzung die Schneeschmelze im Frühjahr 2020 um 0.5 bis 1.5 Millimeter pro Tag reduziert und sich damit das abfließende Schmelzwasser im Jahr um bis zur Hälfte verringert hat.“ Die Verringerung der vom Menschen verursachten Verschmutzung während des COVID-19-Lockdowns kam den Hochgebirgen Zentralasiens also in vielerlei Hinsicht zugute: erhöhte Reflektivität der Schneeoberfläche, verringerte Schneeschmelze beziehungsweise erhöhte Schneebedeckung sowie ein Zuwachs an gespeichertem Wasser durch verminderten Oberflächenwasserabfluss.
„Unsere Ergebnisse machen deutlich, dass von den beiden Prozessen, die den Rückgang der Himalaya-Gletscher verursachen - der globalen Klimawandel und die lokale Luftverschmutzung – vor allem eine Reduktion der Luftverschmutzung eine kurzfristige Hilfe sein könnte“, betont Prof. Ina Tegen vom TROPOS. „Selbst wenn wir die CO2-Emissionen sofort stoppen würden, würden die Temperaturen zunächst nicht sinken. Unsere Ergebnisse bestätigen aber die Bedeutung der Reduzierung kurzlebiger Klimatreiber wie Ruß und ihre ergänzende Rolle bei der CO2-Minderung. Eine Verringerung der Luftverschmutzung auf ein ähnliches Niveau wie während der COVID-19-Lockdowns im Jahr 2020 könnte die Himalaya-Gletscher schützen, die ansonsten bis zum Ende des 21. Jahrhunderts zu verschwinden drohen.“ Seit 2000 haben die Gletscher im Himalaya fast einen halben Meter Eis pro Jahr verloren. Wenn es gelänge, die Luftverschmutzung auf ein Niveau zu senken, wie sie z.B. während der Corona-Pandemie war, dann könnte die Schneeschmelze um bis zur Hälfte reduziert werden. Luftreinhaltemaßnahmen würden also nicht nur der Gesundheit von Milliarden Menschen in Asien nutzen, sondern auch der Wasserversorgung, der Landwirtschaft und den Ökosystemen in großen Teilen Asiens.
Journal
Atmospheric Chemistry and Physics
Method of Research
Case study
Subject of Research
Not applicable
Article Publication Date
21-Sep-2023
COI Statement
At least one of the (co-)authors is a member of the editorial board of Atmospheric Chemistry and Physics. The peer-review process was guided by an independent editor, and the authors also have no other competing interests to declare.