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Viel mehr als Abfall: Winzige Vesikel tauschen genetische Information zwischen Zellen im Meer aus

Extrazelluläre Vesikel spielen im Meer eine deutlich größere Rolle für den horizontalen Gentransfer als bisher angenommen.

Peer-Reviewed Publication

Max Planck Institute for Marine Microbiology

Probenort Helgoland

image: Für die vorliegende Studie sammelten die Forschenden des Bremer Max-Planck-Instituts auch Wasserproben vor der Nordseeinsel Helgoland. view more 

Credit: Silvia Vidal / Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie

Zwischen den zahlreichen Mikroorganismen im Meer gibt es einen regen Austausch genetischer Information. Dieser sogenannte Horizontale Gentransfer (HGT) spielt eine wichtige Rolle für die Evolution vieler Organismen und ist beispielsweise auch der wichtigste Mechanismus für die Verbreitung von Antibiotikaresistenzen in Bakterien. Bisher wurde angenommen, dass vor allem direkte Kontakte zwischen Zellen, freie DNA oder Viren für den Gen-Austausch verantwortlich sind. Eine Studie von Forschenden um Susanne Erdmann vom Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie in Bremen zeigt nun, dass auch sogenannte extrazelluläre Vesikel sehr wichtig für den Austausch genetischer Information im Ozean und damit für das Leben der kleinsten Meeresbewohner sind.

Viren, GTAs, EVs: winzig und zahlreich

Die meisten Viren sind winzig. In jedem Tropfen Meerwasser findet man bis zu 10 Millionen Viren. Sie können nicht nur ihr eigenes Erbmaterial (Genom), sondern auch Teile der Wirts-DNA – also der DNA des Organismus, den sie befallen haben – verpacken und in andere Zellen transportieren.

Viren zu erforschen ist herausfordernd. Meerwasserproben werden dazu durch Filter mit einer Porengröße von nur 0.2 µm (das ist etwa 300-mal weniger als ein menschliches Haar dick ist) filtriert, um die Viren von den Zellen zu trennen. Neben Viren finden sich in diesen filtrierten Proben aber auch sogenannte Gene-Transfer-Agents (GTAs) und extrazelluläre Vesikel (EVs). GTAs sind virus-ähnliche Partikel, die ausschließlich Wirts-DNA verpacken, und EVs sind kleine, membranumhüllte Vesikel, die sich von der Zelloberfläche des Wirtes abschnüren. Diese EVs können mit einer Vielzahl von Molekülen angefüllt sein. Neben Enzymen, Nährstoffen und RNA transportieren sie oft auch Fragmente von DNA.

EVs sind fleißige Transporter genetischen Materials

Erdmann und ihr Team zeigen nun, dass sich in den filtrierten Meerwasserproben sehr viel Wirts-DNA befindet, die nicht, wie bisher angenommen, durch Viren transportiert wird. Dies zu belegen war äußerst kompliziert. „Nach dem Sequenzieren, also quasi dem Auslesen der Wirts-DNA, können wir nicht mehr erkennen, wie sie in unsere Probe gelangt sind“, erklärt Erdmann, Leiterin der Forschungsgruppe Archaea Virologie am Bremer Max-Planck-Institut. „Es gibt kein Merkmal, um eine Sequenz einem bestimmten Transportmechanismus zuzuordnen.“ Um dieses Problem zu lösen, bedienten sich die Forschenden eines Kniffs. Sie ordneten in einem ersten Schritt eine bestimmte DNA-Sequenz einem Wirt zu, von dem sie ursprünglich stammt. Dann bestimmten sie für jeden Wirt, soweit möglich einen Haupt-Transportmechanismus – also durch Viren, GTAs oder eben die EVs. So konnten sie nun einer DNA-Sequenz einen potentiellen Transportmechanismus zuordnen. „Das Ergebnis hat uns überrascht: Ein Großteil der DNA war scheinbar nicht über klassische Wege transportiert worden, sondern über extrazelluläre Vesikel“, so Erdmann.

So viel mehr als Abfall – nicht nur im Meer

„Extrazelluläre Vesikel wurden lange als Abfall der Zelle betrachtet. Erst in den letzten fünfzehn Jahren konnten Forschende zeigen, dass sie sehr wichtige Funktionen für Zellen haben. Unsere Studie zeigt deutlich, dass EVs auch für den Austausch von genetischer Information zwischen Zellen eine große Rolle spielen“, erklärt Dominik Lücking, Doktorand in Erdmanns Gruppe und leitender Autor der Studie, die im Fachmagazin ISME Communications erschien. Deswegen schlagen die Forschenden auch vor, das zukünftig klar zu benennen: „Traditionell spricht man von einem Virom, einem mit Viren angereicherten Metagenom, wenn die DNA aus der 0.2 µm-Fraktion extrahiert und ausgelesen wird“, so Lücking. „Dies beschreibt allerdings nicht die Vielfalt der anderen, nicht virenartigen Partikel in derselben Fraktion, wie beispielsweise EVs. Daher schlagen wir vor, diese Fraktion ‘protected extracellular DNA’, also geschützte extrazelluläre DNA oder kurz peDNA, zu nennen.“

Diese nun vorliegende Studie legt einen Grundstein für zukünftige Forschung an der peDNA in allen Ökosystemen, nicht nur in den Ozeanen. „Alleine die neuartige Nomenklatur ermöglicht es uns, besser über Prozesse und Mechanismen zu kommunizieren, die vom Begriff Virom nicht abgedeckt sind”, betont Erdmann. Zukünftige Projekte können sich an dieser Studie orientieren, um die Rolle von extrazellulären Vesikeln auch in anderen Systemen, wie beispielsweise dem Boden, Süßwasser oder dem menschlichen Verdauungstrakt, zu erforschen. „Angesichts der bedeutenden Rolle des horizontalen Gentransfers in vielen Ökosystemen gehen wir fest davon aus, dass wir hier noch einige weitere Überraschungen erleben werden“, schließt Erdmann.


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